Leben auf dem Lande
Siedlungspolitik auf dem Lande in den Jahren 1919 bis nach 1945
Bearbeitet von Peter WeidelDie Ursprünge der Siedlungspolitik in unserem ländlichen Raum lässt sich bis in die Kaiserzeit zurückverfolgen. Um die teilweise großen Wahlerfolge der SPD auf dem Lande und in die seit Beginn des Sozialistengesetzes 1878 fortdauernde Landflucht einzuschränken begannen die Interessenverbände der Landwirtschaft über Gegenmaßnahmen nachzudenken. Mit Hilfe eines Siedlungsprogramms durch Neuschaffung von kleinen Landstellen und dem vermehrten Bau von Landarbeiterwohnungen wollten die Großgrundbesitzer der zunehmenden sozialdemokratischen Agitation entgegenwirken. Dieser Gedankengang wurde nach der Revolution von 1918 auch von den Sozialdemokraten aufgegriffen und fand seinen Niederschlag im Reichssiedlungsgesetz vom 11. August 1919. Nach diesem Gesetz, das einen bis dahin nicht bekannten Eingriff in Eigentumsrechte legalisierte, mussten in allen Landkreisen, in denen mehr als 10 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf Großgrundbesitz über 100 ha entfielen, die Gutsbesitzer gegen Entschädigung Land zur Aufsiedlung zur Verfügung stellen, bis ein Drittel des Großgrundbesitzes (Stichtag 1907) aufgesiedelt sei oder bis Großbetriebe über 100 ha nur noch 10 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmachten. So kamen in erster Linie Güter in Betracht, die schlecht bewirtschaftet wurden oder die erst kürzlich durch Bauernlegen entstanden waren. Ferner so genannter Mehrfachbesitz, wenn ein Gutsbesitzer mehrere Güter sein Eigen nannte. Es konnte auch durch Verkauf der Zeitpachtdörfer dem Gesetz Genüge getan werden. Schleswig-Holsteins Liefersoll von 71.300 ha, war zu mehr als der Hälfte dadurch zu erfüllen, dass solche Pachtdörfer in Eigentum überführt wurden. In der Provinz Schleswig-Holstein waren die 1913 gegründete Schleswig-Holsteinische Höfebank und der 1920 gebildete Landlieferungsverband Schleswig-Holstein für die Durchführung des Siedlungsprogramms zuständig. Die geringe Zahl von 137 Neusiedlungen in den Jahren 1919 bis 1925 und 382 Neusiedlungen von 1926 bis 1933 ist damit zu erklären, dass viele Projekte während der Inflationsjahre nicht durchgeführt wurden, weil sich die Gutsbesitzer weigerten, ihren Boden gegen wertloses Papiergeld einzutauschen.
Ab 1945 West
Eine neue Parzellierungswelle setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein, als 35.000 ostdeutsche Bauern in Schleswig-Holstein Zuflucht fanden und als nicht zuletzt die Besatzungsmacht verlangte, dass die Großgrundbesitzer zu entmachten sind. Dabei ging es vordringlich um die Integration des aus dem Osten vertriebenen Landvolks aber auch darum, für die einheimische Bevölkerung neue Bauernstellen zu schaffen, sowie angesichts einer künftig wieder zu erwartenden Arbeitskräfteverknappung die landwirtschaftliche Arbeitsverfassung durch Ansiedlung von Landarbeitern zu stabilisieren. Schleswig-Holstein schaffte es als erstes Land der Westzonen, einen Gesetzesentwurf zur Bodenreform vorzulegen. Der auf der Reichssiedlungsgesetzgebung von 1919 fußende Entwurf, der im September 1946 mit großer Stimmenmehrheit des Landtages gebilligt wurde, sah eine progressive Landabgabepflicht vor, die mit 2 % der Hoffläche bei 34 — 40 Hektar begann und mit 34 % bei Betriebsgrößen über 140 Hektar endete. Dieser Entwurf fand jedoch nicht die Zustimmung der Britischen Militärregierung. Nach dem Bodenreformgesetz von 1948/49, das der Landtag 1960 mit großer Mehrheit wieder aufhob, war aller Grundbesitz über 100 ha der freien Verfügungsgewalt des Eigentümers entzogen und konnte gegen Entschädigung für die Besiedlung herangezogen werden. Von 1945 bis 1960 wurden davon 46.000 Hektar aufgesiedelt, gebaut wurden fast 2.300 Bauernstellen sowie 11.800 Gartenbau‑, Nebenerwerbs- und Landarbeitersiedlungen. Zu erwähnen ist, dass die britische Militärregierung eine eigene Verordnung erließ. Danach durfte in der britischen Zone keine Person allein oder gemeinsam mit anderen Personen mehr als 150 Hektar Land besitzen, das für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden könnte, einschließlich Moor, Ödland und Wald oder Land mit einem steuerlichen Einheitswert von mehr als 200.000 Reichsmark .
Den Länderparlamenten wurde gestattet die zugelassene Hektargrenze herabzusetzen.
Auf der Grundlage dieser Befugnis setze Schleswig-Holsteins nach dem Einleitungsgesetz vom 12. März 1948 für das Land die zulässige Höchstgrenze auf 100 Hektar oder 50.000 Reichsmark Bodenwert fest. Den Befürwortern von Bodenreformplänen in den westdeutschen Landesregierungen und Parlamenten ging es jedoch damals nicht in erster Linie um die Einschränkung des Großgrundbesitzes aus politischen Gründen. Es kam ihnen hauptsächlich auf die Bereitstellung von Siedlungsland für heimatvertriebene Bauern an. Spätere Durchführungsverordnungen der für Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zuständigen Militärregierungen setzten übereinstimmend fest, dass privater Grundbesitz, der 100 Hektar oder 130.000 Reichsmark steuerlichen Einheitswert überschritt, durch Ländergesetze gegen Entschädigung in Höhe des steuerlichen Einheitswert für Siedlungszwecke enteignet werden konnte. In der amerikanischen Zone sollte der Großgrundbesitz von 100 Hektar Land zur Landabgabe verpflichtet werden. Die Verordnung in der französischen Besatzungszone bewegte sich in etwa im gleichen Rahmen. Festzustellen ist, dass sich in keinem der Landtage eine Mehrheit für Maßnahmen der Bodenreform unter politischen Gesichtspunkten fand. Auch die Besatzungsmächte in den westlichen Zonen waren nur mit halbem Herzen bei dieser Sache. Ernste Bestrebungen zu einer Bodenreform gab es in den westdeutschen Parlamenten bis 1960 nicht. Einige Landtage verabschiedeten Bodenreformvorschriften, führten sie nicht oder nur halbherzig durch und setzten sie später ausdrücklich wieder außer Kraft. Die Gewerkschaften wandten sich mit einer Schrift ihres wirtschaftswissenschaftlichen Institutes grundsätzlich gegen die Aufsiedlung von Großbetrieben. Vorschläge der Agrarsozialen Gesellschaft, die Großbetriebe in der Form von Gesellschaften zu bewirtschaften, fanden kein politisches Gehör. Interessant ist ein kurzer, geschichtlicher Abriss vom ehemaligen Chefredakteur des Bauernblattes Dr. Erich Thiesen vom 17. März 2012 im Bauernblatt zur Bodenreform und zum so genannten. „30.000 Hektar — Abkommen“:
“Den Siedlungsbestrebungen kam der Beitrag der mittlerweile in der Arbeitsgemeinschaft des Grundbesitzes zusammen geschlossenen Hofeigentümern stark entgegen. Die Arbeitsgemeinschaft erklärte sich im April 1929 bereit, in Anbetracht der Schwierigkeiten bei der Landbeschaffung und angesichts der Notlage weiter Bevölkerungskreise aus dem Mehrfachbesitz (Besitz mehrerer Güter in einer Hand) freiwillig eine Fläche von 30.000 ha zur Verfügung zu stellen, eine in der Nachkriegsgeschichte Schleswig-Holsteins spektakulärer Vorgang, denn immerhin machte die angebotene Fläche über 40 % des eigenen Areals dieser Mehrfachbesitzer aus. Mit diesem Angebot kam endlich Bewegung in die Siedlungstätigkeit, zumal verschiedene Geldquellen zu fließen begannen. Unter anderem aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm der Bundesregierung, dem Lastenausgleichsgesetz dem Soforthilfegesetz, dem Flüchtlingssiedlungsgesetz und später aus dem Bundesvertriebenengesetz. Nach ersten Kalkulationen konnte das 30.000 Hektar-Abkommen ein 4–5–jähriges Siedlungs-Programm gewährleisten.”
Gegen Mitte und Ende der Fünfzigerjahre als die Fläche aus den 30.000 Hektar-Abkommen aufgesiedelt war, wurden die Stimmen lauter, die schleswig-holsteinischen Reform-Gesetze nunmehr aufzuheben. Nach wiederholten heftigen Debatten im Landtag wurden schließlich am 13. Dezember 1960 die Agrarreformgesetze gegen fünf Stimmen aufgehoben.
Quelle: Damaschke, Adolf: Die Bodenreform; Verlag Gustav FischerBauernblatt Schleswig Holstein; Schmalz, Hellmut; Agrarpolitik ohne Scheuklappen