Wirtschaftliche und soziale Lage der Landarbeiter
Leibeigenschaft, Bauernbefreiung und das Ende der Leibeigenschaft
Bearbeitet von Peter WeidelDas Mittelalter wurde lange Zeit von weltfremden Poeten gepriesen. Für die Vorfahren unserer Bauern gab es aber in ganz Europa keine gute Zeit. Kriegerische Auseinandersetzungen wurden auf dem Rücken der Bauern ausgetragen. Im mittelalterlichen Europa, vornehmlich in Deutschland, nahmen Bauernaufstände um das Jahr 1525 den Charakter von Bürgerkriegen an. Die Klassengesellschaft des deutschen Mittelalters hatte den Vorzug dass in ihr die Abhängigkeiten klar erkennbar waren. Jedermann wusste, wer von wem wirtschaftlich ausgebeutet und in Unfreiheit gehalten wurde. Die mittelalterliche Gesellschaft beruhte offenbar auf Gewalt und Unrecht. Der weltliche Adel und die mit ihm wetteifernden Kirchenherren besaßen damals immer in irgendeiner Form das politische Obereigentum an Boden, das ihnen ermöglichte, die Bauern zinspflichtig und hörig zu machen. Die in der Landwirtschaft vor der Zeit der Bauernbefreiung dauernd verwendeten Arbeitskräfte gehörten fast ausnahmslos dem so genannten Bauernstande an. Ländliche Tagelöhner, die nichts anderes waren als Tagelöhner, gab es nur in verschwindend geringer Anzahl. Die in manchen Gegenden zeitweise in größerer Anzahl mit landwirtschaftlicher Lohnarbeit beschäftigten Personen rekrutierten sich aus Berufsgruppen, die überhaupt nicht zu den landwirtschaftlichen gehörten, es waren zu meist auf dem Lande lebende Handwerker oder beurlaubte Soldaten. Es gab keinen besonderen ländlichen Arbeiterstand, weil ein solcher nicht existenzfähig gewesen wäre, und weil der Bedarf an Landarbeitern in den meisten Gegenden für das ganze Jahr, in den anderen wenigstens für den weitaus größten Teil des Jahres durch die zum Dienste verpflichteten Bauern gedeckt wurde.
Mittelalterliche Güter
Der Adelssitz bildete das Zentrum des Gutsbezirks. Hier konzentrierten sich die lokale Kultur und politische Macht, hier befand sich das Zentrum der Verwaltung. Die adlige Gutswirtschaft gehörte zum Privateigentum des Adligen. Die Dörfer des Gutsbezirks bestanden meist aus bis zu 10 Bauernhöfen, den so genannten Hufen. Jeder Hufner war Eigentümer seines Hofes. An der Spitze des Dorfes stand der Bauernvogt als Mittler zwischen den Dorfbewohnern und der Obrigkeit. Alle verwaltungsrechtlichen Entscheidungen traf der Adlige, er hatte auch die Gerichtsbarkeit auszuüben. Jeder Bauernhof war ein Selbstversorgungsbetrieb, ein Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse bestand kaum.
Im 15. Jahrhundert ist die beschriebene Epoche zu Ende gegangen. Der Beginn der neuen Epoche begann fließend, sie bahnte sich eher unbemerkt ihren Weg, fast schleichend. Das Verhältnis zwischen Adel und Bauern verdüsterte sich. Weil die Bauern kaum etwas von der Welt kennen lernten, führten die Adligen meist ein eleganteres Leben, das so genannte Weltmännische und sie trachteten danach, das Leben der großen Welt nachzuahmen. Allein dadurch entwickelte sich eine gesellschaftliche Kluft zu den Bauern. Hinzu kam, dass die gewachsenen Ansprüche der Adligen finanziert werden mussten, was sie veranlasste, die Abgaben der tributpflichtigen Bauern zu erhöhen. Hinzu kam eine weitere einseitige Entwicklung des Rechtssystems zu Gunsten der Adligen, während die Bauern zunehmend rechtloser wurden. Ihre Privilegien wuchsen auf dem Nährboden der Abhängigkeit der Bauern. Die Verpflichtung des Adels zum Kriegsdienst machte den Landesherren zunehmend von ihnen abhängig. Sie forderten für ihre Kriegsbereitschaft immer mehr Zugeständnisse vom Landesherrn. Er gewährte ihnen schließlich so viele rechtlich verankerte Privilegien, dass sie in ihren Gutsbezirken zu ihrem persönlichen Vorteil fast ungehindert schalten und walten konnten. In den Städten entwickeln sich Handwerk, Handel und Gewerbe rasant. Die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten vervielfältigte sich. Die Landwirtschaft begann marktorientiert zu erzeugen. Da die Bauern selbstversorgerisch dachten, entwickelten sie auch keine marktorientierte Wirtschaftsweise. Unorganisiert war es ihnen unmöglich, dass sie benachteiligende Rechtssystem zu beeinflussen. Sie waren den Adligen hoffnungslos unterlegen. Diese benötigten aufgrund ihrer aufwändigen Hofhaltung mehr Geld und hatten zwei Möglichkeiten, ihren Bedarf zu befriedigen: den Tribut der Bauern zu erhöhen und die landwirtschaftliche Nutzfläche ihres Gutshofes auszuweiten um mehr Getreide zu erzeugen. Sehr schnell war die erste Möglichkeit erschöpft. Den höheren Tribut zu fordern erwies sich als zwecklos, da die Bauern gar nicht in der Lage waren, mehr zu leisten als bisher. Hinzu kam das der Tribut, den die Bauern zu leisten hatten im Wesentlichen aus Naturalien und Hand- und Spanndienste bestanden. Beides, kaum vermarktungsfähig, konnte also nicht in Geld umgesetzt werden. Folglich verblieb die zweite Möglichkeit weitere Waldgebiete zu roden und Bauernland dem adligen Gutshof zuzuschlagen. Beide Wege wurden beschritten.
Leibeigenschaft bestimmt das Leben
Der zweite führte zur Gesellschaftsform, die mit dem Begriff Leibeigener charakterisiert werden kann. Leibeigenschaft bedeutete, mit seinem Körper das Eigentum eines anderen Menschen zu sein. Dabei verfügte der Gutsherr über seinen Leibeigenen etwa wie über ein Pferd. Das bedeutete, als Eigentümer über den gesamten Grund und Boden im Gutsbezirk privatrechtlich verfügen zu können. Bisher umfasste das private Eigentum des Adligen lediglich den Adelssitz und den dazugehörigen Wirtschaftshof. Darüber konnte er privatrechtlich verfügen. Die Dörfer unterstanden ihm hoheitlich. Der Grund und Boden in den Dörfern war Eigentum der Bauern. Kraft seiner Rechtsstellung konnte der Adlige eigentümerlosen Grund und Boden sich selbst zuschreiben, das entsprach der heutigen Praxis nach der eigentümerlose Immobilien kraft Gesetzes in das Eigentum des Staates übergehen. Seinerzeit machte der Adlige es zu seinem privaten Eigentum. Das kam vor, wenn durch Seuchen ganze Familien oder sogar ganze Dörfer ausstarben und es keine Eigentümer mehr gab. Aber die Machtstellung ging darüber hinaus. Er konnte, gesetzlich legal, ganze intakte Dörfer zu leibeigenen Dörfern erklären. In solchen Fällen ging nicht nur der Grund und Boden der Bauern sondern das gesamte übrige Eigentum in sein Privateigentum über. Die Bauern blieben als Leibeigene auf ihren ehemaligen Höfen Hufner. Sie mussten nun die Hälfte ihrer Leistung dem Grundherrn als Tribut leisteten. Das bedeutete, dass sie auf der Hufe mit doppeltem Aufwand wirtschaften mussten. An sechs Tagen in der Woche mussten zu seinen Lasten zwei Knechte, zwei Mägde, vier Pferde mit Beschlag zu Hofe gehen und die Arbeiten auf dem Gutshof errichten. Eine weitere Möglichkeit, wie der Gutsherr Bauernland zu seinem Eigentum machte, bot das so genannte Bauernlegen. Er setzte den Tribut des Bauern so hoch an das dieser die Verpflichtungen nicht erfüllen konnte. Dadurch verschuldete er sich übermäßig und ging in Konkurs. Der Gutsherr kaufte die Hufe ab, wobei der Kaufpreis, den der Gutsherr einseitig festlegte, die Schulden des Hufners nicht deckte, so dass eine Restschuld blieb. Die Hufner Familie hatte dann die Wahl, verarmt fortzuziehen oder sich in die Leibeigenschaft des Grundherrn zu begeben.
Dabei wurde auch vereinbart, dass sich jedes Familienmitglied einzeln nach 30 Jahren aus der Leibeigenschaft freikaufen konnte. Die Leibeigenschaft geborenen Kinder waren automatisch auch Leibeigene, denn sie wurden von dem Eigentum des Grundherrn geboren und wuchsen dann auf seine Kosten auf. Die Felder der gelegten Hufe schlug der Grundherr seinen Gutshof zu. Die Gebäude blieben oft stehen und dienten den Leibeigenen als Unterkunft. Waren aber die meisten Familien fortgezogen wurden die Gebäude abgebrochen. Auf diese Weise sind viele Dörfer gelegt worden. Wenn Seuchen oder Kriegseinwirkungen die Bevölkerung eines Dorfes dahinrafften, annektierte der Grundherr das Dorf und schlug die Felder seinem Gutshof zu.
Für die leibeigene Bevölkerung eines Gutes gab es drei verschiedene Stellungen:
- Hufner, die mit ihren Familien die Nutzung ihrer Hufe, eine Bauernstelle des Gutes mit vollem Inventar, hauptsächlich gegen Leistung von Hofdiensten erhielten. Außerdem hatten sie in geringem Maße Naturalien und Geldabgaben zu leisten. Neben der Bauernstelle hatten sie Nutzungsrecht an den gemeinschaftlichen Wald und Weideflächen. Sie waren keine Eigentümer konnten beliebig abgesetzt werden nach gehöriger Anzeige und nicht zur Unzeit. Sie waren also Bedienstete, die mit Land, Haus und Garten entlohnt wurden.
- Insten, das waren Familien ohne Hufe (Bauernstellen). Sie wurden lediglich mit Haus und Garten entlohnt, außerdem hatten sie Nutzungsrechte an gemeinsamen Wald und Weideflächen. Der Mann war Tagelöhner, die Frau musste 60–70 Tage im Jahr auf dem Gut arbeiten.
- Das Gesinde wurde von den ledigen Nachkommen der Hufner und Insten gebildet. Sie mussten auf den Gütern und Hufen arbeiten, hatten keine Grundstücke zur Nutzung und auch keine Nutzungsrechte an der so genannten Almende.
Leibeigene dienen den Gutsherren
Neben den in Voll‑, Halb- und Viertelhufen unterteilten Bauernfeldern eines adligen Gutes, das von den Hufnern gewirtschaftet wurde, musste das Feld bearbeitet werden, dessen Nutzung lediglich den Gutsherrn zustand. Zur Bearbeitung dieser Flächen hatten die Hufner an jedem Werktag abzustellen: acht Pferde mit fünf Leuten im Sommer, 4 Leute im Winter und dazu die entsprechenden Arbeitsgeräte. Die Arbeitszeit lag im Sommer zwischen 6:00 und 18:00 Uhr, in der Erntezeit auch länger. Darüber hinaus mussten die Hufner Pferde und Leute für die Bewirtschaftung der eigenen Hufe halten, so dass neben der sehr zahlreichen Gespannhaltung gerade noch 5–6 Kühe mit Nachzucht zugefüttert werden konnten.
Dabei ist zu bedenken, dass der Ertrag zu dieser Zeit sehr niedrig lag. An Getreideernte erntete man zum Beispiel nur das dritte bis fünfte Korn das heißt drei bis fünfmal die Aussaatmenge. Der Gutsherr konnte Hufner und Insten gegeneinander austauschen.
Gesindekräfte konnten nach der erlaubten Heirat zu Insten oder Hufner werden.
Kraft Gesetzes durften die Leibeigenen nicht aus dem Gutsbezirken fortziehen, es bestand die so genannte Schollengebundenheit. Andererseits bestand eine soziale Verpflichtung des Grundherrn gegenüber seinen Leibeigenen. Bei Krankheit und im Alter hatte er sie zu versorgen. Veräußerte er eine Hufe oder ein ganzes Dorf, gehörten die Leibeigenen zum lebenden Inventar und wurden mit verkauft.
Gutsherren übten Gerichtsbarkeit aus
Der feudale Grundherr des Mittelalters hatte die Bauern durch das Obereigentum am Boden völlig in der Hand. Sie konnten ihnen willkürliche und praktisch unbegrenzte Abgaben und Frondienste abfordern, banden die Bauern an ihre Scholle und konnten sie sogar mitsamt dem Boden meistbietend versteigern, jedoch nicht außer Landes verkaufen. Er hatte neben dem Obereigentum am Boden auch die Justiz, die Polizeigewalt und die gebietliche Verwaltung in seiner Hand. Hier könnte jemand einwenden, dass solche Feststellungen etwas zu allgemein seien. Solcher Einwand ist berechtigt. Kaum irgendwo in der Welt hat es über so lange Zeit im deutschen Mittelalter in einer Gesellschaftsordnung eine so kleinkarierte Vielfältigkeit in den Formen der Unterdrückung gegeben. Sie grenzten im schlimmsten Fall an direkte Sklaverei und gingen in allen nur denkbaren Zwischenstufen zeitweise und gebietlich bei den Königsfreien in Zustände über, in denen die Bauern lediglich gemessene Dienste und Abgaben zu leisten hatten. Als die süddeutschen Bauern 1525 zu den entscheidenden Schlachten des Bauernkrieges rüsteten, gab es im Rheingau Gebiete, in denen die 12 Artikel der aufständischen Bauern praktisch längst erfüllt waren. Die Leibeigenschaft ist mit den landwirtschaftlichen Großbetrieben, das heißt zusammen mit den adligen Gütern entstanden. Sie war dort herrschende Verfassung. Aus damaliger Sicht schien es nicht möglich in anderer Weise diese Großbetriebe zu bewirtschaften. Als Voraussetzung für die Entstehung einer solchen Unfreiheit von Menschen wird das Privilegium des Königs von Dänemark 1524 angesehen, das lautete: „Prälaten und Ritterschaft, Hals und Handgericht, und somit das höchste Gericht über ihre Untersassen und Diener haben sollten, ohne der Fürsten Einmischung oder Veränderung durch sie selbst, ihre Landsleute oder Befehlshaber“. Gegen den Richterspruch des Gutsherrn gab es somit keine weitere Berufung. Dieses Gesetz schaffte dagegen die Möglichkeit, die Landbevölkerung zu unterdrücken und im Laufe der Zeit die Leibeigenschaft herauszubilden.
Das Ende der Leibeigenschaft
In Deutschland erfolgte die so genannte Bauernbefreiung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen durch obrigkeitliche Hoheitsakte, die nicht durch politischen Druck der Bauern von unten erfolgten. Natürlich gab es in diesem halben Jahrhundert von 1800–1850 landauf und landab örtliche Proteste der verbitterten Bauern in Form von Bauernaufläufen und gelegentlich auch als Gewaltakte. Sie wurden von der Polizei rasch unterdrückt und als Landfriedensbruch schwer geahndet. Die Bauernbefreiung erfolgte von oben. In einer 1808 anonym erschienenen verfassten Schrift eines Großgrundbesitzers in Ostpreußen vertritt der Verfasser die Position, dass es für den Gutsherrn kein Nachteil sei, wenn anstelle des bestehenden bäuerlichen Zwangsdienstes ein freies Kontraktverhältnis zwischen Bauern und Gutsherrn bezüglich der zu leistenden Arbeit trete. Die Verwendung der Bauern als Arbeiter auf den großen Gütern sei für ihn selbstverständlich, dass er glaubt, durch Beseitigung der Untertänigkeit könne und solle der Gutsherrn in dieser Verwendung nicht beschränkt werden.
In der beschriebenen Ausgangslage setzte die Aufhebung der Leibeigenschaft, die auch als Bauernbefreiung bezeichnet wurde ein. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann die Gesellschaftsform, die durch Grundherrschaft einerseits und der Leibeigenschaft andererseits geprägt war an sich selbst zu scheitern. Die so genannte Konservationspflicht der Gutsherrn gegenüber ihren Leibeigenen, die Pflicht zur Hilfe bei Krankheit und im Alter sowie die Verpflichtung Leibeigene nicht entlassen zu können, half über die im übrigen bestehende rechtliche Unmündigkeit der Leibeigenen nicht hinweg. Diese lebten perspektivlos vor sich hin, die Wirtschaft des Gutsherrn interessierte sie nicht, sie entwickelten eine destruktive Haltung gegenüber ihrer Tätigkeit. Die Güter wirtschafteten zunehmend unrentabel. Einige der Gutsbesitzer haben diese Zusammenhänge sehr frühzeitig erkannt und hoben in ihren Gutsbezirken aus wirtschaftlichen Gründen die Leibeigenschaft auf und unterstützen die Selbstständigkeit der nun freien Bauern, indem sie ihnen einen Bauernhof oder eine kleine Landesstelle in Erbpacht überließen. Die Feudalherrschaft konnte mit Beginn des Industriezeitalters nicht mehr aufrechterhalten werden. Fortschrittliche Gutsbesitzer versuchten schon vor der 1789 ausbrechenden französischen Revolution eine Bauernbefreiung vorzunehmen. Aufgeklärte Gutsherren schaffen auf ihren Besitzungen die Leibeigenschaft bereits früher ab. Erste Reformen wurden bereits im Jahre 1739 von Graf Hans Rantzau auf seinen Gütern in Schleswig-Holstein durchgeführt. Dieser hat sich um die allgemeine Bauernbefreiung im Jahrzehnt von 1795 bis 1805 Verdienste erworben.
Befreiung durch Ablösung
Auf den königlichen Domänen wurde zwischen 1703 und 1784 die Leibeigenschaft aufgegeben. Es folgten weitere Güter bis schließlich im Einvernehmen mit der Mehrheit des Gutsherrn 1797 der Prinzregent und spätere König Friedrich der VI. die Aufhebung der Leibeigenschaft anordnete. Die Aufhebung musste innerhalb von 8 Jahren bis 1805 vollzogen werden. Für die dann folgende Aufhebung der Leibeigenschaft mussten aber große Teile der ländlichen Bevölkerung ein teures Lösegeld bezahlen. Die nicht bestandsfähigen Bauern verloren ihr Land, sie wurden Arbeiter in der Landwirtschaft oder im Gewerbe. Die größeren Bauern, die bisher mit Gespann und für den Gutsherrn gearbeitet hatten mussten ihre Ablösung mit einem Teil des von ihnen genutzten Landes bezahlen das dem Gut zufiel.
Damit beginnt die Geschichte der Arbeiter in der Landwirtschaft. Die meisten ehemaligen Leibeigenen, nun Freie, die keine Schollenpflicht mehr an den Ort band, die aber auch keine Konservationspflicht der Grundherren mehr in Anspruch nehmen konnten, die also in persönliche Notlagen kein soziales Netz mehr auffing, bildeten fortan den Stand der Tagelöhner. Sie waren im Prinzip freischaffender Arbeiter und arbeiteten für Tagelohn bei den Bauern oder auf den Gütern. Die bisher in den Gutsbezirken vorhandenen Hufen mussten bei der Aufhebung der Leibeigenschaft erhalten bleiben. Sie wurden von den derzeitigen Stelleninhabern übernommen. Durch die Aufhebung der Leibeigenschaft entstand aus der zufällig vorhandenen Aufgabenteilung der bisherigen Leibeigenen als Hufner, Kätner oder Gesindekraft eine deutliche Trennung dieser Gruppe. Diese Trennung in Besitzlose oder Besitzende wurde in den Jahrzehnten nach der Aufhebung der Leibeigenschaft noch verstärkt. In diesen Jahren wurde der Allgemeinbesitz an Weide und Wald und das Recht zur Nutzung dieser Flächen aufgeteilt. Die Ablösung dieser Nutzungsrechte kam ausschließlich den gespannfähigen Stellen, also den Hufnern zugute, die Kätner erhielten nichts, damit entfiel für sie in erheblichem Umfange die Möglichkeit einer Viehhaltung. Sie waren jetzt auf Lohnarbeit angewiesen und mussten der entstandenen Gruppe der Landarbeiter zugerechnet werden. Praktisch hatten sie damit einen wesentlichen Teil ihrer Unabhängigkeit verloren, denn jetzt war eine Viehhaltung nur noch aufgrund von den Regelungen in den Arbeitsverträgen aufrecht zu erhalten.
Landarbeiterklasse entsteht
Die Stellung der jetzt entstandenen Gruppe der Landarbeiter lässt sich in verschiedenen Arbeitsverträgen in groben Zügen erkennen. Aus einem solchen Vertrag über eine Instenstelle geht z.B. hervor, dass der Inste, (Kätner) selbst zu werktäglichem Lohn auf dem Gut zu arbeiten hatte. Seine Frau hatte zusätzlich je Woche an drei Tagen im Sommer und zwei Tagen im Winter gegen festgelegten Lohn ebenfalls zu arbeiten. Genaue Angaben über die zu diesem Zeitpunkt gezahlte Höhe der Vergütungen sind schwierig zu ermitteln, da nur wenige, aussagefähige Dokumente vorliegen. Neben der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Instenstelle und der Instandhaltung der Gebäude hatte der Inste einen Pachtpreis zu zahlen der ihm von seinem Lohn abgezogen wurde. Daneben hatte er die auf seine Stelle entfallenden Kosten für Kirche, Schule und Polizei zu leisten. Er war jetzt auch Mühlen- und Schmiedepflichtig. Zum Leben gehörten aber nicht nur die Nahrungsmittel sondern auch die Wohnung. Diese waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts denkbar einfach beschaffen.
Einschließlich Wohnung, Kleidung und Sonstiges benötigte eine Familie etwa 300 Taler jährlich. Der Normalverdienst eines Tagelöhners betrug durchschnittlich 200 — 220 Taler jährlich. Die Familie war also auf zusätzliche Einkünfte aus Überstunden, Frauen- und Kinderarbeit angewiesen, sowie auf eine bestmögliche Ausnutzung des gewährten Deputats. Mit der Intensivierung des Landbaues nach 1850 stieg der Bedarf an Arbeitern. Die Gutsherren waren aber nur daran interessiert, möglichst billige Arbeitskräfte zu bekommen. Ausländische Wanderarbeiter wurden zu tausenden ins Land geholt. Der Sprache und Sitten des Landes ungewohnt, mit niedrigerem Lebensstandard als ihre deutschen Kollegen, wurden sie in Schnitterkasernen zusammengepfercht und gering entlohnt. Dieser Tatbestand der Lohndrückerei führte zu Streitigkeiten mit den Gutsbesitzer. Im ostholsteinischen Teil von Schleswig-Holstein gab es 1848 in diesem Zusammenhang die ersten Instenunruhen. Im Verhältnis zu den Arbeitermassen großer Fabriken waren die Arbeiter eines Gutes nur wenige. Selbstbewusstsein und Kraftgefühl konnten sich daher nur langsam entwickeln ihre Freiheit war formal, nicht politisch und wirtschaftlich gesichert.
Landarbeiter ohne politische Macht
Die politische Beherrschung des flachen Landes blieb bis 1918 fast uneingeschränkt bei den Gutsbesitzern. In Preußen, das zwei Drittel der Reichsbevölkerung umfasste galt das Drei-Klassen-Wahlrecht. Die wahlberechtigte Bevölkerung war nach ihren Steuern in drei Klassen eingeteilt, von denen jede gleichviele Wahlmänner zählte. Mehrere 1000 Landarbeiter konnten demnach, wenn sie alle einer Gesinnung waren, vielleicht soviel politisches Gewicht haben wie die wenigen Gutsbesitzer.
Theodor Freiherr von der Goltz, um eine Verbesserung der Verhältnisse sehr bemüht, bezeichnete die Aktivitäten der Sozialdemokratie und der aufkommenden Gewerkschaftsbewegung als Umsturzaktionen staatsfeindlichen Charakters, die es zu bekämpfen galt, allerdings nicht mit der Wiederherstellung überlebter sozialer Stände und Unterdrückung der berechtigten Forderungen der Landarbeiter, sondern dadurch, dass die alten Autoritäten die Sozialreform selbst in die Hand nehmen sollten. Diese waren aber allzu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Landwirtschaft selbst machte große Fortschritte, aber die Behandlung der Arbeiterfrage war ausgeklammert. Einsichtige und Weiterdenkende gaben das Vorhandensein von Missständen zu, vermieden aber aus Angst vor der Sozialdemokratie jede Erörterung der Landarbeiterfrage. Auch die 1890 vom Verein für Sozialpolitik angestellten Erhebungen über Landarbeiterverhältnisse erfahren ein ähnliches Schicksal. Im Ergebnis wurden Versäumnisse bei der Agrarreform festgestellt und daraus gefordert, diese in Hinsicht auf die Landarbeiterfrage nachzuholen, nämlich eine klare staatliche Sozialgesetzgebung zu veranlassen. Dies erfolgte schließlich für alle Arbeitnehmer 1881 durch die kaiserliche Botschaft mit den drei Kernwerken der Kranken‑, Unfall- und Invalidenversicherung. Die Landarbeiter wurden in diese Sozialversicherung einbezogen, lediglich von der Arbeitslosenversicherung waren Landarbeiter zunächst ausgenommen. Das Ende des 19. Jahrhunderts ist für die deutsche Landwirtschaft gekennzeichnet durch eine von vielen Faktoren bestimmte, aufkommende Krise.