Leben auf dem Lande
Frauen in der Landwirtschaft (und im ländlichen Raum) in der DDR — ihre ökonomische und soziale Stellung in der Wendezeit und danach (1989–2000)
Dr. Uta Hoffmann1. Frauen in der Landwirtschaft der DDR
Frauen in der Gesellschaft der DDR
In der Landwirtschaft Beschäftigte genossen ein hohes gesellschaftliches Prestige im Arbeiter- und Bauern-Staat DDR. Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiteten, waren Teil eines Arbeitskollektivs vergleichbar wie im industriellen Sektor. Die Familie wurde als wichtig angesehen („Keimzelle der Gesellschaft“, SED-Slogan). Frauen waren sowohl Arbeiterinnen als auch Mütter meist hauptverantwortlich für die Haus- und Familienarbeit. Sie arbeiteten in Landwirtschaftsbetrieben (Kooperativen – LPG bzw. GPG — oder Staatsbetrieben – VEG und kooperative Einrichtungen) mit Arbeitsverträgen unabhängig von ihren Männern und deren Arbeitsstatus.
Als Mitglieder der Genossenschaften hatten Frauen die Möglichkeit “eigenes Geld” zu verdienen, eigene Sozialleistungen zu erhalten und einen eigenen Rentenanspruch zu erwerben. Nicht zuletzt verhalfen die Betriebe den Frauen, einen Beruf zu erlernen oder zu studieren und dann adäquate berufliche Funktionen im Betrieb auszuüben und die entsprechende, auf eigene Leistung begründete Position in der Dorfgemeinschaft und ggfs. darüber hinaus einzunehmen.
Die Landwirtschaftsbetriebe waren vieler Orts ein „kommunales Unternehmen“ und aus heutiger Sicht betrachtet wurden viele kommunale und soziale Aufgaben durch die Betriebe und Arbeitskollektive organisiert. Das kam vor allem Frauen zu Gute. In der Landwirtschaft zu arbeiten war mehr als ein Job für die ArbeiterInnen. Betriebe boten Arbeitsplatz, Erholung, soziale Dienstleistungen und Bildung.
Ein positives Bild vom Leben auf dem Land wurde staatlich propagiert. Das Arbeitskollektiv war von fundamentaler Bedeutung für die Arbeitsorganisation im Sozialismus. Die Überwindung der Unterschiede zwischen Stadt und Land waren Teil der Politik der DDR. In vielen Bereichen wurde daran gearbeitet. Wegen ständig knapper Ressourcen verblieben Unausgewogenheiten.
Familie und Freizeit
Zu Hause waren Frauen in der Mehrzahl hauptverantwortlich für den Haushalt und die Familienarbeit. Der Status hat sich aus Gleichstellungssicht bis zur Wendezeit sehr langsam gewandelt. Es gab weiterhin vorwiegend die traditionelle Arbeitsteilung vor allem im ländlichen Kontext. Seit den 1970ger wurden Männer zunehmend z.B. in die Kinderbetreuung einbezogen. Männer übernahmen auch Familienarbeit. Sichtbare beispielhafte Veränderungen: Männer haben Kinder in Kinderkrippe gebracht oder Kinderwagen in der Öffentlichkeit geschoben und gingen Einkaufen. Durch die Regelvollbeschäftigung der Frauen war die Arbeitsteilung im privaten Bereich eine Notwendigkeit.
Frauen im Hauswirtschaftsbereich waren dennoch in ihren traditionellen Rollen verhaftet. Sie waren hauptzuständig für die Kinderbetreuung, Essenzubereitung, die Verarbeitung von Obst und Gemüse aus dem Hausgarten und andere tägliche Hausarbeiten.
Die Freizeit wurde z.B. durch Familienausflüge oder auch gemeinsame Unternehmungen der Arbeitskollektive bestimmt. Organisiert wurden die Unternehmungen der Arbeitskollektive durch die Betriebe, gesellschaftliche Organisationen wie Deutsch-Sowjetische-Freundschaft (DSF) oder Volkssolidarität – bzw. andere lokale Freizeitgruppen (Sportvereine, Chöre und auch Kirchengruppen). In der Regel hatten die Familien ein Auto, das durch die langen Wartezeiten auf Trabant, Skoda oder Wartburg ab dem Alter um die 30 Jahre zur Verfügung stand. Das Fernsehen wurde natürlich auch als eine Art der Erholung gesehen.
Neben der bezahlten Arbeit in den Landwirtschaftsbetrieben haben viele Frauen noch einen privaten Garten oder gar ein privates Feld — hinter ihren Häusern – (ca. 0,25 ha) mit ihren Männern bewirtschaftet. Dieser Garten brachte unabhängig von der Arbeit in den Landwirtschaftsbetrieben noch Geld in die Haushaltskassen ein. Ohne diese zusätzlichen Einnahmen war der Erhalt des Hauses oder der jährliche Urlaub schwerer realisierbar. Die Kaufkraft der Haushalte in der DDR ist mit der in der BRD nicht vergleichbar. Es fielen kaum Mietausgaben an (30–120 Mark) — und alle Waren des täglichen Bedarfs waren subventioniert. 1.764 Mark war das durchschnittliche Grundeinkommen der DDR pro Familie 1989. Für Frauen betrug es 762 Mark, für Männer 1.009 Mark (Marx-Ferree,1993). Ein Einkommen hätte grundsätzlich nicht ausgereicht um eine Familie gut zu versorgen.
Das private Eigentum des Ackerlandes, das in die Kooperativen bis Anfang der 60ger Jahre eingebracht und durch die Kooperativen bewirtschaftet wurde, spielte im täglichen Leben des Dorfes und der ArbeiterInnen keine Rolle mehr, weil auch ArbeiterInnen aus anderen Gebieten des Landes in Dörfer zogen und dort Arbeit und Wohnung bzw. Häuser zur Miete erhielten. Das betraf die leitenden Betriebspositionen genauso wie die ArbeiterInnen.
Es gab weitere Entwicklungen in der DDR, die das Leben für die Frauen auf dem Land attraktiv gemacht haben.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war eine staatliche Proklamation und auf dem Land fast genauso möglich wie in der Stadt. Kinderkrippen mit der ganztägigen unentgeltlichen Versorgung der Kinder ab dem ersten Lebensjahr waren die Regel in jedem Dorf. Kosten entstanden dafür den Eltern nicht. Es waren 0,35 Mark Essengeld pro Tag zu entrichten.
Die Bezahlung der ArbeiterInnen erfolgte in Form von Lohn („Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“) und Jahresendprämien bei ausgezeichneten Leistungen, die öffentlich gemacht wurden.
40% des Haushaltseinkommens wurden durchschnittlich von Frauen durch eine 5‑Tage-Woche mit 8 Stunden Arbeitszeit realisiert. Dazu kam jeden Monat ein Hausarbeitstag und ca. 20 Tage Urlaub im Jahr.
Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in der kleinen privaten Garten- und Hofwirtschaft wurde eher als „alles muss gemacht werden“ angesehen. Hier gibt es in der Literatur keine Aussagen zur generellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.
Die medizinische Versorgung in den Dörfern war abgesichert. Es gab Allgemeinärzte, die in kleinen Dörfern regelmäßig Sprechstunden abhielten oder eigene Dorfpraxen unterhielten. Jedes Dorf hatte eine Gemeindeschwester. Durch den gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr (i.d.R. ganztägiger mehrfacher Bus – oder Zugverkehr in die nächstgelegene Stadt) waren Spezialärzte in den Polikliniken der Städte gut erreichbar.
In jedem Dorf über hundert Einwohner gab es einen „Konsum“ vor allem mit Lebensmittel und einige weitere Waren des täglichen Bedarfs. Dorfbewohnerinnen — und hier waren es fast ausschließlich Frauen, orientierten sich am Angebot. Die Versorgung mit Waren darüber hinaus war spärlich aus unserer heutigen Sicht. Weil es regelmäßige Einkaufsgänge zu Fuß oder mit dem Fahrrad gab und teilweise in „Schlangen“ gewartet werden musste, war der Konsum ein kommunaler Austauschpunkt für die Frauen. Hier wurden die LehrerInnen nach den Leistungen der Kinder befragt und die SchichtarbeiterInnen, die in der Stadt arbeiteten, teilten ihre Erfahrungen und Neuigkeiten mit. Es wurde verhalten geschimpft z.B. über die schlechte Versorgung und die wenigen Reisemöglichkeiten in das sozialistische Ausland. Man tauschte sich aus über Geburten, Sterbefälle, die Entwicklung der Kinder, das Fernsehprogramm (vor allem im Westfernsehen) – Dorfklatsch im Sozialismus.
Weiterbildung/Qualifizierung
Die in den Kooperationen zusammenarbeitenden Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der Tier- und Pflanzenproduktion sowie auch Staatsgüter waren in den meisten Dörfern gesellschaftliches und kulturelles Zentrum.
Die berufliche Qualifizierung wurde neben der Erwerbstätigkeit fast ausschließlich zum Kriterium der Gleichberechtigung in der DDR gemacht. Qualifizierung sollte die Gleichstellung von Frauen auch in der bäuerlichen Familie, in der Dorfgemeinschaft und in den Landwirtschaftsbetrieben durchsetzen helfen.
Die Arbeitskraft „Frau“ war in den LPGen fester Planungsbestandteil. So wurde ab den 1960er Jahren ein Netz von Kursen und Schulungsmöglichkeiten für die Beschäftigten geschaffen. Die Aufgaben der Staatsorgane bei der Frauenförderung enthielt einen eigenen Abschnitt zu den Genossenschaftsbäuerinnen in den Dokumenten der Partei.
1990 besaß in der DDR in der Land- und Forstwirtschaft nur jede elfte Frau keinen Berufsabschluss.
Mit 89,2 Prozent war der Anteil der Frauen mit einer abgeschlossenen beruflichen Ausbildung an den rund 350.000 weiblichen Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft Ende 1989 um vier Prozentpunkte höher als in der Industrie, wo er bei 85,1 Prozent lag.
Bis 1970 konnten 61,9 Prozent aller in der Landwirtschaft beschäftigten Frauen eine berufliche Ausbildung abschließen. Diese Quote erhöhte sich bis 1989 auf 92 Prozent. (Panzig, 1998)
Durch die Einführung des Frauensonderstudiums an den Agraringenieur- und landwirtschaftlichen Hochschulen wuchs nach 1960 die Zahl der akademisch gebildeten Frauen in der Landwirtschaft. In den 1970er und 1980er Jahren studierten zunehmend junge Städterinnen an den landwirtschaftlichen Hoch- und Fachschulen und landwirtschaftlichen Fachrichtungen der Universitäten.
1989 hatten 2,2 Prozent aller in der Landwirtschaft tätigen Frauen einen Hochschulabschluss und 7,1 Prozent ein Fachschulexamen auch Dank der speziell eingerichteten Frauenförderklassen an den Landwirtschaftsschulen. Der Anteil hoch qualifizierter Frauen in den genossenschaftlichen und staatlichen Landwirtschaftsbetrieben war 1989 mit fast 40 (37,3) Prozent der insgesamt fast 80.000 (78.929) in der Landwirtschaft Beschäftigten mit Hoch- und Fachschulabschluss relativ hoch (Panzig, 1998).
Viele der LPG und VEG bildeten in betriebseigenen Berufsschulen den landwirtschaftlichen Nachwuchs, darunter gleichermaßen junge Frauen, aus. In ihren Lehrlingswohnheimen boten sie auswärtigen Lehrlingen kostengünstige Unterkunft, Verpflegung und Betreuung. Auch die meisten Absolventen und Absolventinnen von landwirtschaftlichen Hoch- und Fachschulen fanden ihre Arbeitsplätze in den LPGen. Für ihre Beschäftigten Frauen mit Kindern wurden spezielle Qualifizierungs- und Weiterbildungslehrgänge offeriert, die während der Arbeitszeit für die Teilnehmenden bezahlt stattfanden.
Frauen nahmen trotz ihrer guten fachlichen Bildung Leitungsfunktionen im mittleren Management, selten im oberen Management der Landwirtschaftsbetriebe wahr: als stellvertretende Vorsitzende im Personal- und Bildungsbereich, als Hauptbuchhalterin, als Leiterin der ökonomischen Gruppe, als Brigadierin und Arbeitsgruppenleiterin sowie in der Lehrlingsausbildung und ‑betreuung. Betriebsleiterinnen waren selten. Obwohl 37,6 Prozent der Frauen in der Tierproduktion über eine Hoch- und Fachschulausbildung verfügten und 28 Prozent der Frauen in den Leitungen der spezialisierten LPG-Tierproduktion arbeiteten, gab es nur 2,8 Prozent weibliche LPG-Vorsitzende (Panzig, 1998).
Wenige der hoch qualifizierten Diplomagraringenieurinnen waren bereit, sich auf Führungs-funktionen „einzulassen“. Das nur, wenn sie die daraus resultierende berufliche Mehrbelastung mit Familie und Kindern vereinbaren konnten und ihre Männer sie unterstützten. Letztlich kapitulierten viele von ihnen nicht vor den fachlichen Anforderungen, sondern vor den damit verbundenen, viel zeitbindenden Politveranstaltungen, denen Führungskräfte der LPG nicht ausweichen konnten (Panzig, 1998).
Kultur — Urlaub und Ferien
Nachhaltig positiv auf die Erwerbstätigkeit von Frauen haben sich die sozialen Einrichtungen in den Dörfern ausgewirkt. Dazu gehörten Kinderkrippen und ‑gärten. Die Genossenschaften richteten Betriebsküchen ein, die den Frauen das tägliche Kochen abnahmen und nicht nur für Betriebsangehörige, sondern für RentnerInnen, SchülerInnen und Vorschulkinder. Daneben besaßen und organisierten die meisten landwirtschaftlichen Kooperationen ab den siebziger und achtziger Jahren Kinderferienlager und Urlauberheime bzw. Urlaubsplätze. In vielen Dörfern gab es Freizeitangebote wie beispielsweise Jugendklubs, Reit- und andere Sportvereine, Folkloregruppen, Blasorchester, Jagdhornbläser- und andere Musikgruppen, Keramik und Textilgestaltungszirkel usw. deren Träger nicht selten eine LPG war.
Soziale und kulturelle Aktivitäten waren integraler Bestandteil des dörflichen Lebens und wurden staatlich von der Betriebsleitung festgelegt aber vor allen von Frauen umgesetzt. Die Jahresmitgliederversammlung der LPG wurde mit Kulturbeiträgen z.B. der Kindereinrichtungen oder Schulen verbunden und endete meist mit einer Tanzveranstaltung. Am Internationalen Frauentag (8. März) zeichnete die Betriebsleitung Frauen für ihre gute Arbeitsleistung oder geleistete gesellschaftliche Aufgaben aus. Andere Feste, wie Erntefest, Weihnachtsfeiern, der Erste Mai, der Internationale Kindertag (1. Juni) waren Bestandteile des Kulturjahresplanes jeder Brigade und wurden oft in Brigadetagebüchern festgehalten (van Hoven-Iganski, 2000.) Besonders die leistungs- und wirtschaftsstarken Kooperationen hatten für die Dörfer ihres Kooperationsbereiches Kulturhäuser, Gaststätten, Verkaufsstellen, medizinische und physiotherapeutische Einrichtungen gebaut und bewirtschaftet, sowie Wohnungen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Angebote zog auch Arbeitskräfte aus der Stadt an.
Durch die Gemeinschaftsarbeit waren die einzelnen Genossenschaftsbauern und ‑bäuerinnen ersetzbar und konnten auch in der Erntezeit Urlaub machen. Gemeinsames Arbeiten, Feiern in den Brigaden, Betriebsfeste und ‑fahrten, finanziert aus dem Kultur- und Sozialfonds¹, förderten das Zusammengehörigkeitsgefühl. In seiner Summe trug dies alles dazu bei, dass genossenschaftliche Normen wirklich zur Norm der Zusammenarbeit in den Dörfern wurden (Panzig, 1998).
In der DDR verglichen die meisten Bäuerinnen nicht Anspruch und Wirklichkeit von „Frauenpolitik“ miteinander, sondern ihren Lebens- und Arbeitsalltag mit dem ihrer Mütter und Großmütter. Gemessen an ihnen und an den Bäuerinnen in der Bundesrepublik sahen sich die Genossenschaftsbäuerinnen als mit wesentlich mehr Rechten ausgestattet und den Männern im Erwerbsleben weitgehend gleichberechtigt. „Frauen haben ihren Mann gestanden“.
2. Die Wendezeit 1990 – 1993
Ausgangssituation 1989–1993
Im ländlichen Raum der neuen Bundesländer dominierten anders als in ländlichen Regionen der alten Bundesländer fast ausschließlich landwirtschaftliche Unternehmen. Ihre Betriebsstrukturen waren mit denen der westdeutschen Landwirtschaftsbetriebe kaum vergleichbar, da in die landwirtschaftlichen Kooperationen verschiedene der landwirtschaftlichen Produktion vor- und nachgelagerten Bereiche integriert waren. Dazu gehörten große Technikbereiche, in denen wegen mangelnder Leistungsfähigkeit der Industrie (keine Marktorientierung, sondern Produktion nach Staatsplan), Gewächshäuser gebaut, Gebäude errichtet und Maschinen repariert wurden, schwer verfügbare Ersatzteile wurden „irgendwie beschafft“, Häuser für Familien und Straßen wurden gebaut und technische Hilfsmittel für den Eigenbedarf hat man selbst entwickelt und produziert, eigene Verkaufsstellen wurden auch in den nahegelegenen Städten betrieben. In den Dörfern hatten die Landwirtschaftsbetriebe in der DDR im Vergleich zu Landwirtschaftsbetrieben in der Bundesrepublik über ihre eigentlichen Produktionsaufgaben hinaus wesentlich mehr Funktionen zu erfüllen. Sie nahmen Aufgaben wahr, die in der Bundesrepublik den Kommunen obliegen. Die in großen Kooperationen zusammenarbeitenden Landwirtschaftlichen Produktions-genossenschaften der Tier- und Pflanzenproduktion sowie auch Staatsgüter waren in den vielen Dörfern gesellschaftliches und kulturelles Zentrum (Panzig, 1998).
Von vielen Frauen wurde der Verlust ihrer Arbeitskollektive und die darin erlebte Gemeinschaft als Wert gleicher Maßen beklagt. Im Frühjahr 1991, nachdem von den 180.000 der in der Landwirtschaft Brandenburgs im Jahr 1989 Beschäftigten 115.000 entlassen worden waren, konstatierte die Vorsitzende des Landfrauenvereins Brandenburg, Wilma Nickel, gegenüber der Bauern-Zeitung „In den Dörfern ist so viel verlorengegangen, dabei sehnen sich gerade Frauen, denen ja nun die Kommunikation und die Wärme ihres ehemaligen Arbeitskollektives fehlt, nach gemeinsamen Erlebnissen. Die Welt ist größer geworden, aber gleicht das den Verlust an Heimat aus?“
In nur drei Jahren nach der Wende verloren im Osten Deutschlands von ehemals 915.000 Beschäftigen in der Land- und Forstwirtschaft 629.000 ihre Arbeit. 200.000 wurden in die Rente oder den Vorruhestand geschickt. Während 240.000 vorwiegend jüngere und gut ausgebildete Arbeitskräfte aus der Land- und Forstwirtschaft in andere Berufe wechselten, blieben 135.000 arbeitslos. Der größte Teil davon waren Frauen und ältere Erwerbstätige. In die zeitlich auf ein Jahr begrenzten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen2 sowie in Um- und Fortbildung gingen 105.000 ehemalige landwirtschaftliche Arbeitskräfte, die sich davon einen beruflichen Neuanfang versprachen. Etwa 170.000 Personen waren im Juni 1993 in der Landwirtschaft der neuen Bundesländer beschäftigt, etwa 10.000 von ihnen in Kurzarbeit (Panzig, 1994). Die Arbeitslosenrate in den ländlichen Räumen des Landes Brandenburg betrug Mitte der 90ger Jahre noch immer ca. 25 %. Besonders waren junge alleinstehende Mütter von Armut bedroht (Köppl, 1997).
70 % der Frauen über 55 Jahre haben die Vorruhestandsregelung angenommen – von den Männern waren es 50%. Die Arbeitslosenrate der Frauen war teilweise doppelt so hoch wie die der Männer.
Ca. 70% der Arbeitslosen waren Frauen. Dennoch waren sie auch in den Arbeitsmarktunterstützungsmaßnahmen wie ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) oder § 249 h Maßnahmen unterrepräsentiert.
Die engen Beziehungen zwischen Arbeitsplatz, sozialem Leben, öffentlicher Teilhabe und der Familie in der DDR waren entscheidende Werte für die individuellen Lebensumstände der Frauen. Diese waren verloren. Arbeitslosigkeit wurde zu einem gesellschaftlichen Phänomen, dass sie bis 1989 nicht kannten und dafür keine Strategien entwickeln mussten. Die Konfrontation mit dem Nichtdenkbaren war Ausgangspunkt der vielen nachgelagerten Aufgaben mit denen die Frauen klarkommen mussten. Neue Normen mussten verinnerlicht werden: Wettbewerb untereinander, Stress durch nicht selbst gewollte Veränderungen, Verschwiegenheit (nicht alles sagen), Egoismus und Eifersucht, Umgang mit materiellen Verlusten. Das beeinflusste die sozialen Beziehungen im dörflichen Umfeld. Die alten kollektiven Freundschaften wurden nicht mehr gepflegt, auch wirtschaftliches Konkurrenzverhalten führte zu Konflikten, die sich auf den „Zusammenhalt“ der dörflichen agrarisch geprägten Strukturen auswirkte.
Die Hauptgründe für die schlechtere Ausgangsposition der Frauen auf dem Arbeitsmarkt wurden wie folgt beschrieben (Fink et al, 1993):
- Frauen wurden auf dem Arbeitsmarkt überflüssig gemacht (Manövriermasse des Arbeitsmarktes)
- Größere Verpflichtung für die Familie als ein Resultat des schwereren Einstiegs in den Arbeitsmarkt (90% sind Mütter und 30% alleinerziehend)
- Geringere Mobilität
- Weniger Verfügbarkeit von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Frauen.
Der Lohn war in den 1990ger Jahren in Ostdeutschland für Männer und Frauen ungleich geringer als in Westdeutschland. Nicht selten waren Stundenlöhne von 5 DM. Unter diesen Umständen konnten es sich Frauen nicht vorstellen ohne Arbeit „über die Runden zu kommen“, auch wenn ihre Männer Arbeit hatten. Es gab viele Beispiele dafür, wo sich Frauen selbst nach Umschulung und mit „neuer“ Arbeit dequalifiziert gefühlt haben (z.B. Floristinnen, Verkäuferinnen, Selbstvermarktung von eigenen Produkten der Gärten, Tourismus).
Es wurden nach 1990 weniger Unterstützung und Zugang zu kommunalen Dienstleistungen und Kinderbetreuung bereitgestellt. Dadurch konnten Frauen an Veranstaltungen des Arbeitsamtes (in der Stadt) und der lokalen und regionalen Entwicklung nicht teilhaben. Sie mussten ihre eigenen Strategien entwickeln. Ihr Lebensmittelpunkt — ihre Heimatdörfer — waren keine Alternative mehr für eine auskömmliche Zukunft. Dieser Erkenntnisprozess lief bei jungen unabhängigen Frauen schneller ab als bei den Frauen, die in ihrem Leben „selten aus dem Dorf rausgekommen“ waren und hier Familien gegründet hatten. So wurde in den 1990ger Jahren auch ein großer Geburtenrückgang in Ostdeutschland verzeichnet und die jungen Arbeitskräfte Männer und Frauen wanderten in Größenordnungen in „den Westen“ ab.
Auf der anderen Seite gab es neue Optionen, die vor allem Frauen sahen, die sich schnell den neuen Arbeitsumfeld anpassten und in der Regel nicht (lange) arbeitslos waren. Sie interessierten sich für die Entwicklung im regionalen Umfeld, für Politik und nahmen die Unterstützung der Politik an und setzten sich für die „Wende“ der Entwicklung ein.
Vorruhestand zwischen 55 und 65 Jahren
Im Februar 1990 verabschiedete die Modrow — Regierung der DDR ein Gesetz zur Frühverrentung, das durch den Einigungsvertrag modifiziert wurde und bis zum 31.12.1992 fortbestand. In Folge dieser Regelungen war es möglich, ArbeitnehmerInnen über 55 Jahre vorzeitig „in Rente“ zu schicken. Alterskohorten der 1926 bis 1937 geborenen Männer und die der zwischen 1931 bis 1937 geborenen Frauen wurden aus dem Erwerbsleben ausgegliedert (Lehmann, 1997).
Diese Option nahmen fast alle Frauen, die in den Landwirtschaftsbetrieben arbeiteten an, weil es eine Absicherung ihrer Lebenssituation war und die Betriebe so „eine Sorge weniger hatten“. Die Betriebe mussten sich um die jüngeren Männer kümmern und nicht selten viel das Wort „Solidarität“, die untereinander geübt werden sollte. Das Altersübergangsgeld war häufig sehr gering. Viele hatten nicht viel mehr als das Arbeitslosengeld. Man war also mit 55 Jahren aus dem Produktionsprozess ausgeschlossen und bis zum Erreichen des regulären Rentenalters (Frauen: 60 Jahre) mit einem Vorruhestandsgeld in Höhe von 63 Prozent des letzten, im Vergleich zu BRD-Löhnen relativ geringen DDR-Lohnes von durchschnittlich 1.242 Mark im Jahr 1989 ausgestattet (In der Landwirtschaft wurde eher weniger verdient). Die subjektiven Wahrnehmungen der Frauen waren sehr verschieden – neben der Motivierung sich zu freuen „alt genug zu sein“ (meist von außen so dargestellt), war die eigene Lebensperspektive bis 60 und ggfs. darüber hinaus arbeiten zu wollen eine andere Perspektive, die nicht mehr umgesetzt werden konnte. Es wurden Karrierepläne von Frauen plötzlich abgeschnitten und Lethargie und „Abgeschriebensein“ war bei vielen Frauen präsent.
In der Folge entwickelten sich in den Dörfern Aktivitäten von Frauen auf freiwilliger Basis. Sie arbeiteten in neuen oder in traditionellen Vereinen (z.B. Volkssolidarität oder Landfrauenverbände) in Initiativen für neue regionale Kontakte und beteiligten sich an der
Erarbeitung neuer regionaler Perspektiven (Umweltschutz, Verkehrsplanung, Tourismuskonzepte, Städtepartnerschaften) und am Aufbau von ABM-Maßnahmen.
Arbeitsförderungssmaßnahmen
Qualifizierungen
Eine Templiner Qualifizierungsberaterin äußerte, dass es nicht genügend Maßnahmen für Frauen aus der Landwirtschaft gibt und auch kaum solche, “die sich an den Voraussetzungen und beruflichen Interessen, Wünschen und Fähigkeiten der Frauen mit landwirtschaftlicher Vorbildung ausrichten. Diese würden vor allem handwerkliche Qualifizierung wünschen” (BMBF,1992).
Gerade auch die jüngeren, akademisch oder beruflich gut ausgebildeten Frauen aus der Landwirtschaft sind es zu Beginn der 1990ger Jahre gewesen, die sich – im ländlichen Raum und vor allem in den Randgebieten größerer Städte – neue berufliche Möglichkeiten erschlossen haben oder mit Erfolg selbständige berufliche Existenzen im ländlichen Raum gründeten. Dabei kamen ihnen ihre Berufserfahrungen zugute, die sie bei der Bewältigung vielseitiger Aufgaben in den Landwirtschaftsbetrieben zu lösen hatten (Panzig, 1994).
Dennoch wurden die Maßnahmen von den Frauen oft als Dequalifizierungen empfunden. Überwiegend im EDV- und bürotechnischen Bereich angebotene Qualifizierungsmaßnahmen im ländlichen Raum wurden vorzugsweise von jüngeren Frauen mit dem Abschluss der 10. und 12. Klasse und einer guten beruflichen Ausbildung genutzt (Panzig,1994; Varia, 1996).
ABM
Die Teilnahme an ABM – Maßnahmen setzte für Frauen im ländlichen Raum die Mobilität und die Kinderbetreuung voraus (van Hoven- Iganski, 2000). In Untersuchungen wurde deutlich, dass in der Altersgruppe der über 50-jährigen Frauen der Anteil mit 40,1% am höchsten lag. Hier spiegelte sich die Zielgruppenorientierung der Maßnahmen wider, die allerdings bereits bei den 40jährigen Frauen hätte ansetzen müssen. Viele Frauen bekamen eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme direkt vom Arbeitsamt angeboten. In Erfahrungen mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zeigte sich eine hohe Akzeptanz. Die Arbeit hat den Frauen meist gefallen und sie konnten ihre Kenntnisse erweitern (Varia, 1996).
Frauen begannen die ABM-Maßnahmen enthusiastisch. Oft wurden sie während der Maßnahme demotivierter. Das lag vor allem an der Laufzeit der Maßnahme – zu Beginn der 1990ger Jahre maximal zwei Jahre, später nur noch maximal ein Jahr. Ihnen wurde während der Maßnahmen klar, dass eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt am Ende sehr unwahrscheinlich war. Frauen fühlten, dass sie keine wirkliche Chance für eine Erwerbstätigkeit nach der ABM erwarben, sondern Teil der Politik der „geschönten Arbeitslosenstatistik“ waren.
Lichtblicke waren einzelne Frauenprojekte im ländlichen Raum zur Erschließung vielgestaltiger Möglichkeiten alternativer Erwerbsarbeit für Frauen, insbesondere im Bereich Tourismus, ökologischer Gartenbau, Umwelt- und Naturschutz sowie im Sozialbereich z.B. „Umschulung von Frauen zu Landschaftsgärtnerinnen mit ökologischem Schwerpunkt“ (Altmann, 1994). Diese wurden von Vereinen — häufig von Bildungsträgern aus den alten Bundesländern oder der Region — mit Unterstützung der verschiedenen Bundes- und Landesministerien auf ABM-Basis initiiert. Selten wurden diese Projekte langfristig unterstützt und beim Projektmanagement gab es noch seltener eine wissenschaftliche Begleitung. Der Erfolg dieser Vorhaben, die sich z.T. die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen zum Ziel gestellt hatten, blieb — angesichts des damaligen desolaten ersten Arbeitsmarkt — vielfach aus. ABM wurden nicht verlängert, Fördermitteln nicht wie versprochen gewährt, Immobilien und Land aus dem ehemaligen Volkseigentum von der Treuhand zur Gründung von neuen beruflichen Existenzen für Frauenprojekte nicht zur Verfügung gestellt sowie Gemeindevertretungen nicht aktiv wurden. Nicht zuletzt die immer wieder neu zunehmende Bürokratie bei der Realisierung der Projekte führten zum Verschleiß aktiver Projektfrauen (Panzig, 1994).
Das Ziel, der erste Arbeitsmarkt, wurde in den meisten Fällen nicht erreicht (Fielauf, 1994).
Die Vorsitzende des Landesverbandes der Landfrauen Mecklenburg-Vorpommerns und Geschäftsführerin der Agrar-GmbH Ihlenfeld, Lilly Wiebenson-Wagner, die sich mit der Verbandsarbeit nicht auf die rein soziale Schiene abschieben lassen wollte, erklärte bereits Ende 1991: “Erst wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen, können grundlegende Forderungen überhaupt realisiert werden.” Den gutgemeinten Ratschlägen nach vorausschauender Qualifizierung stellt sie die Frage nach dem “Wie” und der Richtung entgegen, wenn “nach wie vor kein Wirtschaftskonzept und schon gar nicht für den ländlichen Raum vorliegt, an dem man sich orientieren könnte”. Lilly Wiebensohn-Wagner hielt es deshalb im Interesse der Frauen auch für nötig, dass ihr “Verband in der ‘großen Politik‘ mitmischt” (Landfrauen 1992). Ausdruck dafür, dass dieser Verband sich erfolgreich für Frauen in den Dörfern Mecklenburg-Vorpommerns engagiert, sind die von ihm getragenen über fünfzig Frauenprojekte mit fast 1000 ABM-Mitarbeiterinnen (Panzig, 1994).
3. Neuorientierungen in den 1990er bis 2000
Es gab in der Zeit nach der Wende bis 2000 dramatische Entwicklungen in den Dörfern und Städten Ostdeutschlands. Die Verunsicherungen der Menschen konnten weder von den politischen Parteien noch von den gesellschaftlichen Organisationen (z.B. Gewerkschaften) aufgefangen werden. Am meisten betroffen waren Frauen, die in der Landwirtschaft der DDR gearbeitet hatten. Sie verloren ihren Arbeitsplatz und ihre sozialen Beziehungen. Dadurch, dass die Frauen nach der Wende nicht oder wenig organisiert waren, hat man die „unsichtbaren“ Frauen ruhiggestellt – durch Vorruhestandsregelung, zeitlich befristete Projekte oder Arbeitsangebote anderer Branchen. Es blieb und bleibt die ungleiche materielle Situation der Frauen aus der Landwirtschaft der DDR und die Nichtanerkennung ihrer Arbeitsleistungen.
Es entwickelte sich angesichts der Wahrnehmung von individuellen Chancen aus den neuen Freiräumen individuelle Lebensstile. Es gibt Ende der 90ger Jahren immer weniger die „Frau in der Landwirtschaft“ (Hoffmann-Altmann, 2001). Frauen leben in ländlichen Räumen und gestalten ihre Visionen von Erwerbsarbeit und sozialen Bindungen, die weit über das Dorf hinaus gehen.
Frauen in der Landwirtschaft mussten mehr marktorientiert agieren. Dazu trug auch die Europäische Agrarpolitik bei. Dörfer in Ostdeutschland haben sich verändert. Die agrarische Produktion bietet nur noch wenigen Männern und noch weniger Frauen Arbeitsplätze.
Frau Jusios (Geschäftsführerin der INAB Werkstatt für Frauen, Berlin-Köpenick) und Frau Dr. Fielauf (Geschäftsführerin der VARIA GmbH) sind zwei Frauen stellvertretend für viele, die aus der Leitung von Arbeitsförderungsmaßnahmen heraus, Chancen für Frauen entwickelt haben, die sonst auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht mehr angekommen wären.
Frau Dr. Fielauf — musste als Geschäftsführerin der Arbeitsfördergesellschaft VARIA GmbH in Heinersdorf (zwischen Müncheberg und Seelow östlich von Berlin) immer neue innovative Projekte entwickeln, um die Förderung vom Arbeitsamt zu bekommen. Sie hat mit vielen Ideen versucht die Umschulung von Frauen aus der Landwirtschaft in neue Branchen zu entwickeln. Diese mussten oft genug wegen mangelnden Finanzierungszusagen wieder aufgegeben werden. Die Ausbildung für das Recycling von Elektroschrott war aber z.B. förderungsfähig und es wurden Leute aus der Varia GmbH nach ihrer Ausbildung von Firmen übernommen. Die Ziele der Projekte damit Neugründungen anzuschieben, waren nur theoretisch möglich. “Diese Strategie der Landesregierung mit der Arbeitsförderung die Wirtschaftsentwicklung voranbringen zu wollen, halte ich für gescheitert. Man hätte dazu eine anderes Arbeitsförderungsgesetz gebraucht, ein Gesetz, das die Kompromissfähigkeit zwischen Beschäftigungsstrategie und Wirtschaftsentwicklung garantiert.“ Nach ihrer Einschätzung war die Arbeitsförderung ‑auch durch ABM — eine wichtige Maßnahme, dass sich die Frauen nicht überflüssig vorkommen. Sie hat bereits zu Beginn der 1990ger Jahre Alternativen im Tourismus (Zimmervermietung) und Direktvermarktung eigener Produkte gesehen (Fielauf, 1994).
Frau Jusios hat in Berlin mit arbeitslosen Frauen aus anderen Branchen innerhalb der INAB (Innovations- und Ausbildungsbetrieb) eine „Werkstatt für Frauen“ gegründet. Sie war der festen Überzeugung, dass es in dem „Mikroklima“ einer Frauengruppe viel besser gelingt, unmöglich scheinende neue Arbeitsfelder auszuprobieren. Ein Teil der Frauen war im Projekt „Pro Natur und Umwelt“ angekommen. Hier wurden arbeitslose Frauen für ein neues Arbeitsfeld vorbereitet. Exkursionen, Unterricht und praktische Tätigkeit richteten den Focus auf ökologische Zusammenhänge in der Natur und einen möglicherweise späteren Arbeitsplatz in der landschaftsgärtnerischen Tätigkeit. Eine andere Frauengruppe lernte das Schweißen (Kemna, 1997):
Weitere Beispiele, sind die in den neuen Bundesländern häufig umgesetzten Ausbildungen zu Dorfberaterinnen. Als Träger fungierten z.B. Landfrauenverbände oder die GGLF (Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft), die wiederum vom MELF unterstützt wurden. Auf dem Gebiet des Umweltschutzes wurden viele ABM – Maßnahmen organisiert, die beim Neuaufbau der Landschaftsschutzgebiete mit Tourismusoptionen vor allem Frauen zeitweise einen Arbeitsplatz boten. Daraus entwickelten sich eigene Ansätze für Tourismus (Netzwerke für Unterkünfte, Fahrradtourismus, Tourismusinformationen in Gemeinden, neue Vermarktungsstrategen für landwirtschaftliche Produkte).
Da die Partizipation der Betroffenen in den Umbruchprozessen wenig oder nicht realisiert wurde, waren viele Projekte und Weiterbildungsangebote „eine Brücke ohne Straßenanschluss“, die dennoch einen persönlichen Neuorientierungsprozess eingeleitet hatten — zwischen Zweifel und Vertrauen auf die Zukunft.
Literatur:
Altmann, Uta: Zwischenauswertung der wissenschaftlichen Begleituntersuchungen zum Modellversuch des BIBB „Umschulung von Frauen zu Landschaftsgärtnerinnen mit ökologischen Schwerpunkt“, In: 1. Fachtagung „Frauen in der Ländlichen Entwicklung, S. 182–188, 1994
BMFJ Dokumentation: Materialien zur Frauenpolitik, Erwerbschancen für Frauen aus landwirtschaftlichen Berufen/ ländlichen Regionen der neuen Bundesländer, 19/1992 S.89.
Fielauf, Christel: Vom zweiten Arbeitsmarkt in den Ersten?, In: Courage ist weiblich, MELF Brandenburg, 1994
Fink, M.; Grajewski, R.: Arbeitsmarktsituation für Frauen im ländlichen Ostdeutschland, Landbauforschung Völkenrode 44(1): 13–25, 1994
Hoffmann-Altmann, Uta u.a.: Weibliche ®evolution in den Führungsetagen, Anregungen und Ideen für eine frauengerechte Fortbildung von Agrarmanagerinnen in Österreich, Ungarn und Deutschland, 2001
Kemna, Julia u.a: Observing and Advising Women Involved in Work Creation Programs (ABM) Focused on the Environment in East Germany, In: „What have Women‘s Projects Accomplished so far?“, S. 309–319, Conference 1997
Köppl, Ursula: Promotion of Women in Rural Projects of Brandenburg, In: „What have Women‘s Projects Accomplished so far?“, S.17–30, Conference 1997
Landfrauen 1992 in: Deutsche Bauernzeitung, (33. Jahrgang/ Nr. 11), 1992, S. 51.
Lehmann, Heiko: VERORDNETER RUHESTAND, Untersuchung zum Transfer sozialstaatlicher Institutionen im deutschen Vereinigungsprozeß am Beispiel des Vorruhestands, Dissertation HU Berlin, 1997
Marx-Ferree, M.; Young, B.: Three steps back for women: German unification, gender and university reform. Political Science and Politics. June: 199–205, 1993
Panzig, Christel: Frauen in der DDR-Landwirtschaft — Genossenschaftsbäuerinnen, Kyritz, 2010
Panzig, Christel: OSTDEUTSCHE LANDFRAUEN IM TRANSFORMATIONSPROZESS, Universität Potsdam Historisches Institut, Juni 1994
Panzig, Christel: „Freiwillich bin ich nich’ in de LPG jegang’n,aber ‘s war’n meine best’n Jahre“. Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft zwischen Zwang und Freiwilligkeit, Berlin, 1998
Panzig, Christel: Hin zum eigenen Beruf, Frauen in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft der DDR., Leipzig, 2003
Schröter, U.; Löser, H.; Bröse G. Erster Frauenbericht des Landes Mecklenburg ‑Vorpommern. Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, 1997
Schmidt, Mathilde: Prekarisierung auf Dauer? Die Überlebenskultur bäuerlicher Familienbetriebe (Co-Autorin: Heide Inhetveen). In: Bührmann, Andrea D.; Pongratz, Hans J. (Hg.) Unsicherheiten von selbstständiger Erwerbstätigkeit und Unternehmensgründung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 111–136, 2010.
Van Hoven-Iganski, Bettina: Made in GDR – The Changing Geographies of Women in the Post_Socialist Rural Society in Mecklenburg- Westpommerania, 2000
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¹ Kultur- und Sozialfonds (KuS). Der KuS war ein finanzieller Fonds staatlicher Betriebe und Institutionen, der zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten und zur Ausbildung einer „sozialistischen Lebensweise“ dienen sollte. Er wurde mit der Verordnung über die Betriebsprämienfonds sowie den KuS in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 15.5.1957 eingeführt (Gbl. der DDR 1957, S. 289–292). Nach § 237 AGB vom 12.4.1977 war er ein in Kombinaten und Betrieben zu bildender zweckgebundener finanzieller Fonds, dessen Mittel zur Förderung kultureller und sportlicher Aktivitäten im Betrieb sowie zur sozialen Betreuung der Beschäftigten zu verwenden waren. Die Planung, Bildung und Verwendung des KuS wurde auf dem Verordnungswege geregelt. Die Verwendung der Mittel war im BKV ( Betriebskollektivvertrag) zwischen Betriebsleitung und BGL ( Betriebsgewerkschaftsleitung) zu vereinbaren. Die Gelder wurden vor allem zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, darunter auch der Arbeiterversorgung, zur Unterstützung von Kulturgruppen, Zirkeln (s. Zirkelwesen) und Interessengemeinschaften ausgegeben. Mittel des KuS kamen auch der gesundheitlichen und Kinderbetreuung, den betrieblichen Erholungseinrichtungen und dem Werkswohnungswesen zugute. Sie konnten zudem für Weiterbildungsmaßnahmen und für die einmalige Unterstützung von Werksangehörigen verwandt werden.
² Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (kurz ABM) waren in Deutschland zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit von der Arbeitsagentur bezuschusste Tätigkeiten auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt, um Arbeitssuchenden bei der Wiedereingliederung in eine Beschäftigung zu helfen oder ein geringes Einkommen zu sichern.
Im Gegensatz dazu versteht man unter Arbeitsbeschaffung staatliche Investitionen, die direkt den ersten Arbeitsmarkt ankurbeln. Seit 2012 gibt es keine neuen Maßnahmen mehr.
1993 wurde für die neuen Länder ein ABM-ähnliches, neues Instrument in das AFG eingefügt (“produktive Arbeitsförderung Umwelt Ost” bzw. “Lohnkostenzuschüsse Ost”), das sehr schnell nach seiner Einordnung in die Paragraphenfolge als § 249 h — Maßnahme bezeichnet wurde. 1994 wurde die Förderung als § 242s AFG auch auf die alten Länder ausgedehnt, allerdings unter einengenden Vorgaben im Hinblick auf die Maßnahmefelder, die gebotene Zusätzlichkeit der Arbeiten, die Zielgruppenauflagen und die Förderhöhe, sodass dieses Instrument dort kaum an Bedeutung gewann. Mit dem Übergang vom AFG zum SGB III wurden die Maßnahmen der produktiven Arbeitsförderung unter Beibehaltung der Unterschiedlichkeit in den förderbaren Aufgabenbereichen in West und Ost zu Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) zusammengefasst. ( https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/317166/beschaeftigung-schaffende-massnahmen/