Berufsbildung hat Geschichte — Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im dualen System
Bearbeitet von Peter WeidelHistorie
Bei der Beschreibung der Entstehung und Entwicklung des dualen Systems muss bis in die Zeit vor 1870 zurückgegangen werden, denn die duale Berufsausbildung in Deutschland hat eine lange Tradition. Bereits in der Gewerbeordnung von 1892 wurde das duale Prinzip, nämlich eine praktische Ausbildung im Betrieb und theoretischer Unterricht in der Berufsschule erstmals in einem Gesetz festgeschrieben.
Allerdings bestand bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland bzw. in Preußen kein Bedürfnis nach Schuleinrichtungen im Bereich der landwirtschaftlichen Aus- und Fortbildung. In der Landwirtschaft herrschte mit der so genannten Dreifelderwirtschaft eine vergleichsweise einfache Wirtschaftsform. Das dafür notwendige Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Die Aneignung von Fachwissen war weder durch eine Methode noch durch eine Rechtsgrundlage gekennzeichnet. Der Erwerb beruflicher Qualifikation erfolgte ganz selbstständig im laufenden Arbeitsprozess. Der Zugang zur Existenz des Bauern und des landwirtschaftlichen Arbeitnehmers war seinerzeit schon durch die Geburt bestimmt. Bauern und die Kinder der Landarbeiter und des Gesindes wurden wieder Bauern oder abhängig Beschäftigte.
Der Umschwung und eine Veränderung dieses Systems, begann erst Anfang des 19. Jahrhunderts. Er wurde durch eine intensive und rationelle Wirtschaftsweise in Form der Fruchtwechselwirtschaft ausgelöst. Sie erforderte grundlegende Fachkenntnisse bei den selbstständigen Bauern und Betriebsleitern. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten landwirtschaftlichen Fachschulen gegründet. Sie waren seit Beginn ihres Bestehens vorrangig eine Ausbildungsstätte für die Bauern. Die Dachorganisation der landwirtschaftlichen Vereine, der landwirtschaftliche Generalverein, hatte damals als Hauptaufgabe die Förderung der Landwirtschaft durch Feldversuche, die Organisation von Tierschauen, sowie Ausstellungen und Versammlungen übernommen. Durch seine Aktivitäten nahm das Streben nach mehr Wissen und besserer Bewirtschaftung der Höfe weiter zu. Der Wunsch nach einer regulären und systematischen Ausbildung der jungen Landwirte mit finanzieller Förderung des Staates wurde laut. Nachdem im Jahre 1896 als Folge der Auflösung des landschaftlichen Generalvereins, sich z.B. in Schleswig Holstein, Landwirtschaftskammern gründeten, ging das Ausbildungswesen auf die Kammern über. Damit wurde der Forderung nach mehr Beratung Rechnung getragen. Landarbeiter waren ausgenommen, sie zählten nach vorherrschender Meinung zu der nicht bildungsfähigen Bevölkerungsgruppe und hatten keinen Zugang zu den Bildungsangeboten privater und öffentlich rechtlicher Organisationen. Hinzu kam die ablehnende Haltung einflussreicher Bauern und Grundbesitzer zur Qualifizierung von Arbeitnehmern. Ein Umdenken und die „Neuzeit“ der Fort- und Ausbildung entwickelte sich erst nach 1950 schrittweise mit dem rasanten Strukturwandel in der Landwirtschaft. In den Bundesländern mit Landwirtschaftskammern wurde die gleichwertige Qualifizierung und Beratung von Arbeitnehmern und Bauern mit staatlicher Förderung intensiviert. Die Agrarpolitik und der so genannte Berufsstand hatten erkannt, dass zukünftig eine moderne Landwirtschaft ohne qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer scheitern würde.
Landarbeiter werden Facharbeiter mit Berufsabschluss
Die Fünfzigerjahre begannen mit der Herausgabe von agrarpolitischen Leitsätzen zur Landarbeitspolitik, die der Arbeitskreis „Landarbeitsverfassung der Agrarsozialen Gesellschaft“ aufstellte. In diesem Papier wird festgestellt, dass die Landwirtschaft zukünftig einen neuen Typ des landwirtschaftlichen Arbeitnehmers benötigt. Der rasante Strukturwandel, begleitet durch fortschreitende Mechanisierung und den Zerfall des Gesindestatus veränderte das Bild der Landwirtschaft auf dem sozialen Sektor vollständig. Es verschwand — bis auf wenige Reste — das patriarchalische System in den bäuerlichen Betrieben und im Großgrundbesitz.
Die Ausbildung der Landarbeiter lag allerdings im Gegensatz zum Industriebereich noch völlig im Argen. Von einem großen Aufbruch im Bildungsbereich konnte man nicht reden. Die Masse der verheirateten Landarbeiter war als angelernt zu bezeichnen. Sich zu qualifizieren, erforderte Überzeugungsarbeit und einen großen, personellen und finanziellen Aufwand. Es mangelte über Jahre an der breiten Unterstützung der Arbeitgeberseite. Die allgemeine Berufsausbildung zum landwirtschaftlichen Facharbeiter wurde daher überwiegend in den 50iger und sechziger Jahren von Hofnachfolgern wahrgenommen. Das Bild änderte sich erst später.
Nach einem Bericht des statistischen Bundesamtes waren in den siebziger Jahren 68% der männlichen Landarbeiter beruflich qualifiziert und hatten den Abschluss eines Landfacharbeiters erworben. Großen Anteil an dieser Entwicklung hatten die Sozialreferenten und Arbeitnehmervertreter in den Fachausschüssen für Landarbeit in den Landwirtschaftskammern. Die Wandlung der Landwirtschaft zu einem modernen Wirtschaftszweig stellte alle Beteiligten vor viele neue Aufgaben, so auch in der beruflichen Bildungspolitik. Durch besondere Regelungen im Berufsbildungsgesetz wurde es den landwirtschaftlichen Arbeitnehmern ohne Berufsabschluss ermöglicht, nach sechsjähriger Tätigkeit in der Landwirtschaft und nach entsprechender theoretischer Fortbildung in Fachschulen, den Berufsabschluss eines landwirtschaftlichen Facharbeiters zu erwerben. Dafür waren bundesweit die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen.
Arbeitnehmer in der Landwirtschaft sind heute hochqualifizierte Facharbeiter
Die Praxis der dualen Ausbildung wurde auch nach der NS Zeit weitestgehend beibehalten und erst im Jahre 1964 durch ein Gutachten des Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen abgelöst. Entscheidende Impulse setzte später das Berufsbildungsgesetz von 1969. Grundlegende Änderungen waren, dass das zersplitterte Ausbildungsrecht zum einen zusammengefasst und Unklarheiten in den Ausbildungsrechten beseitigt wurden. Zum Verdruss der Unternehmensverbände konnte der Einfluss des Staates auf die Ausbildung auch in der Zukunft gesichert werden, was aus Arbeitnehmersicht positiv zu bewerten ist.
Heute legt das Berufsbildungsgesetz die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Durchführung der Berufsausbildung fest. Die in der Landwirtschaft Beschäftigten sind durch ihre Mitarbeit in vielen Selbstverwaltungsgremien am System der dualen Berufsausbildung beteiligt.
Grundlagen des Berufsbildungsgesetzes und Beteiligung der Arbeitnehmer
Die Zuständigkeit für die “Ordnung“ der beruflichen Bildung liegt beim Bund. Das Gesetz schreibt die Errichtung von Ausschüssen in der Berufsausbildung bei den zuständigen Stellen vor, in denen die Gewerkschaften paritätisch vertreten sind. Verstärkt wird der Einfluss der Gewerkschaften durch das gesetzlich verankerte Vorschlagsrecht bei der Besetzung der Arbeitnehmerbank in den bestehenden Ausschüssen. In diesen Ausschüssen räumt der Gesetzgeber den Sozialpartnern außerdem ein erhebliches Mitsprache‑, Gestaltungs- und Entscheidungsrecht ein.
Novellierung des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2005
Am 25.1.2005 hat der Bundestag das Bildungsreformgesetz beschlossen. Für junge Menschen, die eine Ausbildung im dualen System machen, hat sich durch die Novellierung nichts Wesentliches geändert. Die Grundprinzipien des Gesetzes sind gewahrt worden. Zum Ärger der Berufsschulen wurde die Forderung nach Einräumung eines vollen Stimmrechtes der Lehrer nicht berücksichtigt. Sie dürfen nur dann über Fragen der Berufsausbildung mitentscheiden, wenn die Organisation der Berufsschule berührt ist.
Die Sozialpartner entscheiden im Wesentlichen über Qualifikationsprofile und Qualifikationsstrukturen der zukünftigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Für die Beschäftigten ist es daher von großer Bedeutung, dass ihre Interessen in den Ausschüssen adäquat vertreten werden. Die Beauftragten der Arbeitnehmer werden auf Vorschlag der im Bezirk der zuständigen Stelle bestehenden Gewerkschaften berufen. Bis auf wenige Ausnahmen nimmt auch die IG BAU ausschließlich das Vorschlagsrecht in ihrem Zuständigkeitsbereich war. Das im Jahr 2005 reformierte Berufsbildungsgesetz weist den Berufsbildungsausschüssen die Aufgaben zu, auf eine stetige Entwicklung der Qualität der Berufsausbildung hinzuwirken. Damit werden wichtige Impulse gegeben, die Qualität der beruflichen Bildung stärker in den Fokus zu rücken, denn Qualitätssicherung in der Ausbildung ist die Leitlinie, an der sich die Gremien bei der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu orientieren haben.
Nach dem Berufsbildungsgesetz bestehen bei allen Landwirtschaftskammern oder vergleichbaren Einrichtungen Berufsbildungsausschüsse, dem sechs Beauftragte der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und sechs Lehrer von berufsbildenden Schulen angehören, letztere allerdings nur mit beratender Stimme. Die Mitglieder der Berufsbildungsausschüsse sind nicht nur in allen Angelegenheiten der beruflichen Bildung zu unterrichten, sie haben auch alle von der zuständigen Stelle zu erlassenden Regelungen für die Durchführung der Berufsausbildung zu beschließen. Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist die so genannte soziale Autonomie, die eine Verpflichtung für den Staat beinhaltet, sozialen Gruppen der Selbstverwaltung die Regelung ihrer Angelegenheiten selbst zu überlassen, solange sie nicht gegen grundlegende allgemeine Interessen handeln. Diese Tradition der sozialen Autonomie, Einvernehmen in bedeutungsvollen Entscheidungen anzustreben (Konsensprinzip), wird daher besonders intensiv auf dem Gebiet der beruflichen Bildung praktiziert.
Weitere Teilnahme der Arbeitnehmer an der Gestaltung der Berufsbildung
Der Landesausschuss für Berufsbildung hat die Landesregierung in Fragen der Berufsbildung zu beraten. Im Rahmen seiner Aufgaben hat er auf die stetige Entwicklung der Qualität der beruflichen Bildung hinzuwirken. Er wird bei der Landesregierung errichtet. Die Arbeitnehmerbeauftragten werden auf Vorschlag der auf Landesebene bestehenden Gewerkschaften berufen. Der Berufungszeitraum beträgt in der Regel vier Jahre. Der Landesausschuss für Berufsbildung setzt sich zusammen aus der gleichen Zahl von Arbeitnehmerbeauftragten und Arbeitgeberbeauftragten, sowie von Beauftragten der obersten Landesbehörde. Er kann zur Stärkung der regionalen Ausbildungs- und Beschäftigungssituation Empfehlungen aussprechen. Die Zusammenarbeit der Sozialpartner auf Bundes‑, Länder- und Regionsebene geht von der gemeinsamen Verantwortung der Sozialpartner für die Planung, Durchführung und Weiterentwicklung der Berufsbildung aus.
Der Hauptausschuss im Bundesinstitut für Berufsbildung
Der Hauptausschuss im Bundesinstitut für Berufsbildung hat einen umfassenden Aufgabenbereich. Im Nachfolgenden einige zentrale Aufgaben: Er beschließt über die Angelegenheiten des Bundesinstituts für Berufsbildung, soweit sie nicht dem Präsidenten oder der Präsidentin übertragen sind. Er berät die Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen und kann eine Stellungnahme zu dem Entwurf des Berufsbildungsberichts abgeben. Er beschließt das jährliche Forschungsprogramm und kann Empfehlungen zur einheitlichen Anwendung des Gesetzes geben. Dem Hauptausschuss gehören je acht Beauftragte der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Länder sowie fünf Beauftragte des Bundes an. Die Arbeitnehmervertreter werden auf Vorschlag der auf Bundesebene bestehenden Gewerkschaften benannt. Die Berufungsperiode umfasst in der Regel vier Jahre.
Prüfungsausschüsse der zuständigen Stellen
Zur Abnahme von Abschlussprüfungen errichtet die zuständige Stelle Prüfungsausschüsse. Sie sind Organ der zuständigen Stelle und haben hinsichtlich der Abnahme von Prüfungen eine eigenständige, gesetzlich geregelte Befugnis. Der Prüfungsausschuss besteht aus mindestens drei Mitgliedern. Darunter Beauftragte der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gleicher Zahl und mindestens eine Lehrkraft einer berufsbildenden Schule.
Verantwortlich für die Betreuung der Berufsbildungsausschüsse (Arbeitnehmer) ist der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Fachgewerkschaften. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Bereiches Bildung, Qualifizierung, Forschung ist die Gestaltung der gesetzlichen Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften in der beruflichen Bildung. Das vertikale Mitbestimmungssystem des Berufsbildungsgesetzes entspricht der gewerkschaftlichen Forderung nach Demokratisierung der Wirtschaft und der paritätischen Mitbestimmung der Beschäftigten.
Quellen: Landwirtschaftliches Bildungswesen — LWK Schleswig Holstein; DGB Unterlagen: Mitbestimmung in der Beruflichen Bildung