Leben auf dem Lande
Radikale Umgestaltung des Schulwesens nach 1945 in der DDR
Bearbeitet von Christian KochNach dem Sieg der Alliierten über Hitlerdeutschland konnte aus schulpolitischer Sicht die Aufgabe nur darin bestehen, das gesamte Bildungswesen von der faschistischen Ideologie und allen anderen reaktionären Lehren zu befreien.
Am Ende des Krieges zeigte das Schulwesen einen chaotischen Zustand und befand sich in der Auflösung. Entsprechend der Kriegsfolgen betrug das Durchschnittsalter der verfügbaren Lehrer an den Allgemeinbildenden Schulen der sowjetischen Besatzungszone 1945 mehr als 52 Jahre.
Umgestaltung des Schulwesens
Pädagogen, die eine eindeutig antifaschistische Haltung bewiesen hatten, erhielten von den sowjetischen Militärbehörden in den Kreisen und Städten den Auftrag, eine neue Schulverwaltung aufzubauen und sie zu leiten. Die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) ordnete mit dem Befehl Nr. 17 die Bildung einer deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung an. So konnte die Provinzialverwaltung der Provinz Sachsen bereits am 03. August 1945 eine Verordnung über die Grundlagen für die weitere revolutionäre Umgestaltung des Schulwesens veröffentlichen. Die Festlegung zum Wiederbeginn des Unterrichts, die Vorbereitung der Gebäude dafür und die Säuberung der Lehrerschaft von nazistischen Elementen bildeten die Kernpunkte dieser Verordnung.
In einem weiteren Befehl Nr. 40 der SMAD vom 25. August 1945 ordneten die sowjetischen Behörden an, den Unterricht in allen Allgemein- und Berufsbildenden Schulen ab 01. Oktober 1945 wieder aufzunehmen. Höhepunkt des gemeinsamen Handelns der KPD und SPD in der Schulpolitik war ihr Aufruf zur demokratischen Schulreform am 18. Oktober 1945. So begannen im Oktober 1945 die Schulen auch in der Magdeburger Börde wieder mit dem geordneten Schulbetrieb.
Hauptproblem Lehrermangel
Ein ernstes Problem war die enorm gestiegene Zahl der Schulkinder, die – in Verbindung mit dem gleichzeitig auftretenden Lehrermangel, bedingt durch die Entlassung zahlreicher Nazilehrer – oft zu Klassenstärken von 40 und mehr Kindern führten.
Allein im Kreis Wanzleben wurden bis Anfang Juli 1946 insgesamt 28.609 Umsiedler registriert. In der Provinz Sachsen, in deren Zentrum das Gebiet der Börde liegt, entfielen 1939 im Durchschnitt auf einen Lehrer 42 Schüler, 1945 waren es dagegen 69 Schüler.
Da im Kreis Wanzleben etwa 95 % aller Lehrer Mitglied der NSDAP oder ihrer Gliederungen waren, mussten viele dieser politisch belasteten Lehrer aus dem Schuldienst entfernt werden.
So bildete das Hauptproblem bei der erfolgreichen Umgestaltung des Schulwesens die Gewinnung von neuen Lehrern. So wurde also im Oktober 1945 im Magdeburger Kloster Unserer lieben Frauen der erste Lehrgang für Neulehrer des Bezirkes eröffnet.
In der Provinz Sachsen sollten kurzfristig mindestens 9.000 Neulehrer ausgebildet werden. Die Kurse dauerten 6–8 Wochen.
Neue Lehrer
Auf der zentralen Kulturtagung der KPD am 3. Februar 1946 äußerte Pieck (KPD und späterer Präsident der DDR): “[…] das für die Landschulen auf jeden Fall die gleichen Bildungsziele und Bildungsmöglichkeiten gegeben werden, wie für die Stadtschulen. Wir werden dafür eintreten, dass den Landschulen die besten Lehrer vermittelt werden und sie in jeder Weise die gleichen, wenn nicht bessere Vergünstigungen erhalten als die Lehrer in der Stadt. […]“
Quelle: Das Leben der Werktätigen in der Magdeburger Börde – Studien zum dörflichen Alltag vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Anfang der 60er Jahre, Akademie-Verlag Berlin 1987,Bd. 66/5, S. 225ffEin Kurzbericht einer Neulehrerin aus der Börde verdeutlicht, wie schwer es war, die ersten Schritte in der neuen Schule zu gehen: „Der Altlehrer stellte mich den Kindern vor (zweites, drittes, viertes Schuljahr). Ich zog meinen Mantel aus, nachdem der Lehrer die Klasse verlassen hatte und alles nahm den Finger in den Mund und fing an zu pfeifen. Verbieten half nichts. So holte ich den Lehrer, der sie jämmerlich hin- und her zauste. Dann war Ruhe. Der Lehrer verließ wieder die Klasse, und ich stieg gleich in die Rechenstunde, damit mir die Kinder nicht gleich wieder aus der Hand glitten. Es half nur ununterbrochene Beschäftigung, was bei drei Schuljahren nicht immer glatt geht. Hefte sind sehr knapp. Ich hatte mich mit Altpapier versorgt und ließ die Kinder darauf rechnen und schreiben. Es fielen ein paarmal die Worte: „Neue Mode“. Die Einstellung gegen mich ist offensichtlich. […]“
Quelle: Das Leben der Werktätigen in der Magdeburger Börde – Studien zum dörflichen Alltag vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Anfang der 60er Jahre, Akademie-Verlag Berlin 1987,Bd. 66/5, S. 225ffDie Teilnehmer an den Neulehrerlehrgängen mussten ständig durch Selbststudium ihr Selbstwissen erweitern, in den Ferien Kurse besuchen und zu Konsultationen fahren und die erste und nach einem Jahr die zweite Lehrerprüfung vor einer Prüfungskommission ablegen. Deshalb wurde zentral festgelegt, dass der Unterricht auf 5 Tage konzentriert werden sollte, damit die Neulehrer sich an dem freien 6. Tag – das war meist der Sonnabend – auf ihre eigene Qualifizierung konzentrieren konnten.
Die Zahl der einklassigen Schulen wurde in der Folgezeit dadurch schnell gesenkt, dass sich benachbarte Gemeinden mit ein- oder zweiklassigen Schulen zu Schulverbänden zusammenschlossen und so mehrstufig oder voll ausgebaute Schulen entstanden, nur mit dem Unterschied zu den normalen Stadtschulen, dass sich die einzelnen Stufen in verschiedenen Orten befanden und der Schulweg für Teile der Schülerschaft sich erheblich verlängerte.
Zentralschulen
Als nächster Schritt bei der Realisierung der Landschulreform folgte 1948 die Einrichtung von Zentralschulen. Im Kreis Wanzleben entstanden in Egeln, Hadmersleben, Altenweddingen, Osterweddingen, Seehausen und Westeregeln solche Schulen, die meistens die Mittelstufe (Klasse 5–8) umfasste. Dies erleichterte die materielle Ausstattung mit modernen Lehrmitteln und zur Einrichtung derartiger zentralisierter Schulen konnten Gutshäuser und Herrenhäuser aus der Bodenreform sinnvoll genutzt werden, wie das z.B. in Langenweddingen, Osterweddingen, Brumby und Groß Germersleben praktiziert wurde.
Eine Übersicht über die politische Zusammensetzung der Lehrkräfte in der Börde mit dem Stand 01. August 1948 illustriert den Prozess der Umsetzung der Schulreform nach 1945.
Quelle: Das Leben der Werktätigen in der Magdeburger Börde – Studien zum dörflichen Alltag vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Anfang der 60er Jahre, Akademie-Verlag Berlin 1987, Bd. 66/5,S. 239Eine Übersicht über die Neulehrerausbildung im Land Sachsen-Anhalt von 1945 – 1949 zeigt die relativ hohe Fluktuation der Lehrer und verdeutlicht die Kompliziertheit dieser Entwicklungsperiode.
Quelle: Das Leben der Werktätigen in der Magdeburger Börde – Studien zum dörflichen Alltag vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Anfang der 60er Jahre, Akademie-Verlag Berlin 1987, Bd. 66/5,S. 240Vorschuleinrichtungen
Anfang 1950 existierten im Kreis Wanzleben nur noch drei einklassige Schulen.
Erheblich vorangekommen waren in der Börde die Vorschuleinrichtungen. Im Kreis Wanzleben bestanden Anfang 1950 bereits 42 Kindergärten mit mehr als 2.000 Plätzen; drei Betriebskindergärten in Altenweddingen, in Klein Wanzleben und Schermke. In diesen Kindergärten waren 34 ausgebildete Kindergärtnerinnen, 15 Erziehungshelferinnen und 35 Laienkräfte tätig. Daneben existierten noch drei kirchliche Einrichtungen, und zwar zwei evangelische Kindergärten und ein katholischer Kindergarten.
Polytechnische Oberschulen
Der Kreis Wolmirstedt verfügte über 34 Kindergärten mit etwa 1.250 Plätzen, darunter zwei Betriebskindergärten in Barleben und Elbeu, zuzüglich fünf kirchliche Einrichtungen. Ab 1957 wurde der Aufbau der Zehnklassenschule vorangetrieben, verbunden mit der Einführung des polytechnischen Unterrichts und anderer Formen der polytechnischen Bildung und Erziehung. Ab 01. September 1958 begann der durchgängige polytechnische Unterricht an allen Schulen mit dem Kernstück des Unterrichtstages in der Produktion. Innerhalb des 10. Schuljahres wurde nach der Abschlussprüfung noch ein zweiwöchiges polytechnisches Praktikum im Betrieb durchgeführt.
Es wurden die Begriffe der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule (POS) bis zur 10. Klasse und der Erweiterten Polytechnischen Oberschule (EOS) bis zur 12. Klasse eingeführt.