Wirtschaftliche und soziale Lage der Landarbeiter
Die Lage der Drescharbeiter um 1900
Bearbeitet von Peter WeidelDie Zeit der Dreschmaschinen ist schon lange vorbei. Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurden diese von modernen Mähdreschern verdrängt. In vielen Dörfern ging die Zeit des Flegeldreschens schon Ende 1890 zu Ende. Das Ausdreschen wurde als das Ende des Wirtschaftsjahres angesehen und mit einem Fest beendet. Der Maschinenlohndrusch ist in seiner Entstehung von einer Maschine bestimmt worden – der Dreschmaschine. Die Landtechnische Revolution nahm ihren Lauf. Durch die rapide Erhöhung der Hektarerträge um mehr als 60 % nahm die Menge des auszudreschenden Getreides immer mehr zu, dieses brachte immer mehr Probleme bei der Erntebergung. Eine Leistungssteigerung in der Drescharbeit brachte um 1900 der Einsatz von Großdreschmaschinen die von Hof zu Hof fuhren. Ein wahrscheinlich weiterer Grund für die Nutzung der Dampfkraft bestand in dem Arbeitermangel. Aber auch das Dreschen mit der Dampflokomotive und dem Dreschkasten erforderte eine große Zahl an Bedienungspersonal, das sich überwiegend aus den Reihen der Tagelöhner und Wanderarbeiter rekrutierte. Neben Saisonarbeitern aus Polen kamen vor allem die “Monarchen”, das waren herumziehende Gelegenheitsarbeiter, die dem Alkohol meist nicht abgeneigt waren, zum Einsatz. Sie führten ein Leben auf der Straße und ihre provokanten Verhaltensweisen führten auch zu Abwehrreaktionen der bessergestellten einheimischen Bevölkerung.
Arbeitszeit und Lohn
Die kurze Dreschsaison, verbunden mit der hohen Zahl der Saisonarbeiter führte in weiten Teilen Schleswig-Holsteins zu sozialen Problemen. Einer, der sich mit diesen Problemen beschäftigte war der Pastor Schlee aus der Stadt Heide. Er schrieb über die Lage der Drescharbeiter. Eine Dreschmaschine oder Garnitur braucht für ihre Bedienung 18 — 21 Mann. Eine bevorzugte Stellung nehmen der Maschinenmeister oder der Heizer ein. Diese beiden essen mit am Tisch des Bauern und erhalten nachts ein Bett. In den Bezirken an der Westküste gab es rund 170 Dampfdreschmaschinen, für die eine Bedienung von mindestens 3.000 Arbeitern erforderlich war. Üblich war allgemein der Stundenlohn, während in anderen Teilen der Provinz nach Tageslohn gearbeitet wurde. Der Stundenlohn brachte in die Arbeit noch mehr Unstetigkeit hinein, der Arbeitstag wurde dadurch über Gebühr ausgedehnt. 90 Stunden und mehr in einer Woche waren keine Seltenheit, dazu kamen noch die Umzüge mit der Maschine von einem Ort zum Anderen, von einem Dorf ins andere. Die Arbeiter bekamen aber nur die Dreschstunden, nicht die Umzüge bezahlt. Bei freier Kost betrug der Stundenlohn in einem Sommer 25 Pf. im Jahre 1908 sogar noch 30 — 40 Pf.
Der Arbeitstag begann zwischen drei und vier Uhr morgens. In der Regel wurde sich nicht gewaschen und auch nicht gefrühstückt. Nachdem die Arbeit aufgenommen war gab es alle 2 Stunden gegen den Staub einen so genannten “Wachtmeister”, den der Bauer liefern musste. Dabei waren für die Runde der Beschäftigten etwa zwei Weinflaschen voll Kümmel nötig.
Unfälle bei Drescharbeiten durch Arbeitsdruck
Die sozialistische Bewegung beschäftigte sich intensiv mit der Lage der Drescher. In der schleswig-holsteinischen Volkzeitung, dem Organ der SPD, setzte sich besonders der Redakteur Franz Rehbein für die Rechte der Drescharbeiter ein. Er berichtete aus eigener Erfahrung, denn er hatte jahrelang als Tagelöhner gearbeitet und beim Dreschen einen Arm verloren bevor er zum Journalismus wechselte. In seinen Artikeln nahm er kein Blatt vor den Mund wie folgendes Beispiel aus dem Jahre 1897 zeigt:
“In einem Betrieb an der Nordsee ereignete sich bei den Drescharbeiten ein grässlicher Unfall. Ein fremder Erntearbeiter war von einer Maschine überfahren und sein Kopf total zermalmt worden. Der Unglückliche hatte sich, so übermüdet wie er war, hinter den Pferden auf die Deichsel der Maschine gesetzt, als diese spät abends abtransportiert werden sollte. Vom Schlaf übermannt glitt er hinunter und wurde von den Rädern der schweren Maschine überrollt. Von Jahr zu Jahr mehrten sich die Unfälle während der Dreschkampange in geradezu erschreckender Weise. An der Westküste Schleswig-Holsteins hatte sich mit seinem berüchtigten Stunden System bereits ein trauriger Ruf als holsteinische Folterkammer festgesetzt. Mit dem praktizierten System wurde trotzdem nicht gebrochen, aus dem einfachen Grunde, weil die Profitsucht der Dreschmaschinenbesitzer sich mit Händen und Füßen dagegen sträubte. Aus den Knochen der Arbeiter wird, so Rehbein in seinen Feststellungen, in rücksichtsloser Weise Kapital geschlagen. Man vergegenwärtige sich: 15 bis 20 Pf Stundenlohn bei einer bis zu zwanzigstündigen Arbeitszeit, und das jeden Tag, denn Sonntagsruhe war ein unbekannter Begriff. Es gab kaum Pausen und schlechtes Essen. Das fortwährende Hasten und Jagen während der Drescharbeiten setzte sich oft während der Abendstunden fort, weil die Maschine an einem anderen Ort umgesetzt werden musste. In Ermangelung von Betten musste der Drescharbeiter wohl oder übel — häufig bis auf die Haut durchnässt — in ein Strohlager kriechen bis ihn die Dampfpfeife lange vor Tagesgrauen wieder zur Arbeit rief. Seitens der Behörden wurde gegen diese skandalösen Zustände nie vorgegangen. Nach einer Polizeiverordnung durfte nur bis 20 Uhr gedroschen werden, doch stand sie nur auf dem Papier.”
Unersättliche Profitgier der Unternehmer, Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft bis zur völligen Erschöpfung, das sind die Ursachen, die vielen Arbeitern ein frühes Ende bereiteten oder zum Krüppel machen, so beschreibt Franz Rehbein die Situation der Drescharbeiter. Neue technische Entwicklungen führten jedoch zu Verfahren, die weniger Arbeitskräfte erforderten und nach dem Ersten Weltkrieg waren nur noch wenige “Monarchen” und Wanderarbeiter unterwegs.
Franz Rehbein — der Chronist des ländlichen Arbeiterlebens
Die oft kümmerlichen Existenzbedingungen des Gesindes und der Tagelöhner hat Franz Rehbein (1867 — 1909) in seinen Lebenserinnerungen eindringlich beschrieben. Auf einem pommerschen Gut aufgewachsen, diente Rehbein mehrere Jahre als Knecht in verschiedenen Orten Holsteins, als Tagelöhner in Dithmarschen verlor er später bei einem Unfall an der Dreschmaschine einen Arm. Seine Schilderungen sollten aufklärerisch wirken. Auch wenn sie daher manches Tabu aufgreifen, zeichnen sie doch ein lebendiges, plastisches Bild der Holsteinischen Landarbeiter. Von den ostholsteinischen Gutsarbeitern heißt es in seinem Buch: “Sie lebten in einer Welt für sich, bedürfnislos, wortkarg und apathisch. Sechs Tage in der Woche arbeiten sie für das Gut, wenn’s befohlen wurde auch sieben, mehr konnte niemand von ihnen verlangen. Im Übrigen ließen sie den lieben Gott einen guten Mann sein und kümmerten sich um keine Rüben.” Über die Nöte der arbeitslosen Marscharbeiter schreibt er an anderer Stelle: “Mit verhaltenem Grimm sieht man auf die gewichtigen Bauern, die unbekümmert um die steigende Not der Tagelöhner zu ihren Visiten oder Vergnügungen fahren. Den dampfenden Pferden kann man keine Rippe auf dem Leibe zählen, während man selbst den Leibriemen von Tag zu Tag enger schnallt. Da sitzt man als armer Schlucker und will gerne arbeiten. Diejenigen aber, für die man sich im Sommer für geringen Lohn abschindet, zucken jetzt gleichmütig die beiden Achseln — was können Sie dafür, dass sie keine Arbeiter gebrauchen können?” Gewerkschaftliche Zusammenschlüsse der Dithmarscher Land-und Drescharbeiter kamen über Anfangsversuche nicht hinaus.
Nur allmählich fand die Mechanisierung Eingang in die Landwirtschaft, zuerst vor allem in Gebieten mit den Maßen und auf der Insel Fehmarn, wo die Bauern schon lange marktorientiert Wirtschafteten. In anderen Gegenden Preußens dagegen wurde zunächst bewusst auf die Einführung von Dreschmaschinen verzichtet, um den Landarbeiter ihre wichtigste Einkommensquelle in der arbeitsarmen Winterzeit, die Drescharbeit, nicht zu schmälern. Erst durch die Abwanderung aus der Landwirtschaft hervor gerufenen Interesse an Arbeitskräften kurz darauf allerdings nur zögerlich durchgeführten sozialen Verbesserung bei. Im Zuge der Landflucht und Emigration dürfen die Grundbesitzer vermehrt auf Arbeitskräfte aus den östlichen Provinzen des Reiches zurückgreifen, wie etwa die so genannten Sachsengänger. Dem raschen Wachstum vor allem der größeren Städte stand ein Bevölkerungsrückgang in manchen ländlichen Gebieten gegenüber. Daher herrschte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeitweilig ein großer Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften.
Gesinde und Landarbeiter wurden in den Marschgebieten Holsteins auf so genannten Menschenmärkten vermittelt. Hier warben die Bauern ihr neues Personal an. Die Menschenmärkte wurden erst 1933 von den Nationalsozialisten verboten.
Quelle: Broschüre 50 Jahre Landesverband der Lohnunternehmer;Rehbein, Franz: Das Leben eines Landarbeiters
Geschichte Schleswig Holsteins, Jann Markus Witt, Heiko Vosgerau, Boyens Buchverlag, Heide